Diskussion um Geschwindigkeitsreduktion erhitzt die Gemüter
04.05.2024 WittenwilDass in Wittenwil in absehbarer Zeit die Geschwindigkeit auf 30 Stundenkilometer beschränkt wird, ist sehr wahrscheinlich. Dass Vorhaben dieser Art polarisieren, ist nicht neu. Was den einen viel zu lange dauert, soll nach Meinung der anderen gar nicht erst umgesetzt ...
Dass in Wittenwil in absehbarer Zeit die Geschwindigkeit auf 30 Stundenkilometer beschränkt wird, ist sehr wahrscheinlich. Dass Vorhaben dieser Art polarisieren, ist nicht neu. Was den einen viel zu lange dauert, soll nach Meinung der anderen gar nicht erst umgesetzt werden.
Für einmal war vom friedlichen Mit- oder wenigstens Nebeneinander, das man sonst im beschaulichen Dorf pflegt, nicht viel zu spüren. Die Diskussion für oder wider Einführung von Tempo 30 wurde hitzig, je länger der Anlass dauerte, gar gehässig.
Stefan Mühlemann, der zuständige Gemeinderat für Verkehr und Sicherheit, informierte in der bis auf den letzten Festbankplatz gefüllten Turnhalle auf Einladung des Dorfvereins Wittenwil-Weiern zum weiteren Vorgehen. Zustande gekommen ist die Veranstaltung aufgrund eingegangener Anträge aus der Bevölkerung für eine generelle oder partielle Beschränkung; die zuständige Kommission lud daraufhin zum öffentlichen Informationsanlass.
Als Einstieg präsentierte der Politiker drei Varianten aus dem Jahr 2014, als das Thema erstmals diskutiert wurde. Damals wurde zwar keine Geschwindigkeitsbeschränkung eingeführt, dafür einige verkehrsberuhigende Massnahmen. «Heute würden wir anders vorgehen. Heute beruhigt man nicht mehr nur eine oder zwei Strassen, heute werden ganze Quartiere eingebunden. Im Fall von Wittenwil sprechen wir vom gesamten Ortskern», erklärte Mühlemann. Die Beruhigung des Verkehrs sei eines der Legislaturziele im Gemeinderat und betreffe die ganze Politische Gemeinde Aadorf.
Im Fokus stehe dabei nicht nur das Auto, sondern alle, die an der Mobilität teilnähmen. Damit eine 30er-Zone eingeführt werden kann, müssen diverse Rahmenbedingungen erfüllt sein. Die nötigen Schritte führte der Politiker detailliert aus: «Besteht ein Bedürfnis nach Beschränkung, werden zuerst Kontrollen durchgeführt. Werden zu viele Fahrzeuge mit zu hohem Tempo gemessen, wird ein externer Verkehrsplaner beigezogen. In der Kommission werden mögliche Schritte diskutiert und ein Vorschlag dem Gemeinderat überreicht. Wird der Entwurf vom Gremium für gut befunden, wird er öffentlich ausgeschrieben. Danach hat die Bevölkerung die Gelegenheit, dagegen Einsprachen zu erheben. Nach der Einsprachefrist wird das Anliegen an den Kanton übergeben, der eine entsprechende Bewilligung erteilt. Liegt diese vor, folgt die effektive Umsetzung.»
Danach schreibe der Kanton nach ein bis zwei Jahren Nachmessungen vor. Werde die vorgeschriebene Geschwindigkeit von weniger als 85 Prozent der Fahrzeuge eingehalten, müssten zwingend weitere bauliche Vorkehrungen umgesetzt werden – also Schwellen, sogenannte Berliner Kissen, Verengungen. Der Bereichsleiter Tiefbau, Andreas Müller, erläuterte danach die Kostenseite – detailliert zählte er auf, wie viel ein einzelner Betonsockel (1200 bis 1400 Franken) kostet, bis hin zur aufgemalten 30, die mit 200 Franken zu Buche schlagen würde.
Fast drei Viertel befürworten Tempo 30
Bis zu diesem Punkt war es ruhig im Saal, aber nach dieser Aufzählung wurde es unruhig. Diverse Votanten gaben zu verstehen, dass die Kosten an dieser Stelle nicht interessierten, Priorität habe die Sicherheit. Und ausserdem hätten die Wittenwiler Steuerzahlerinnen und -zahler bisher die Beruhigungsmassnahmen der umliegenden Ortschaften mitfinanziert. Bevor Geld ausgegeben werde, sollten die Ursachen des Durchgangverkehrs bekämpft werden. So müsse dafür gesorgt werden, dass die Navigationsgeräte gewisse Schleichwege nicht mehr empfehlen würden. Und schliesslich sollten am Ortseingang einfach die Schilder ausgetauscht werden. Dann erst soll mit Messungen geprüft werden, ob zusätzliche Massnahmen nötig würden.
Bevor Stefan Mühlemann abschloss und die eigentliche Diskussion eröffnet wurde, präsentierte ein Mitglied des Dorfvereins die Resultate einer Umfrage, die im Vorfeld im Dorf gemacht wurde. Dass dabei nicht restlos alle Einwohner erfasst werden konnten, gab umgehend Anlass zu Kritik. Einige seien, trotz mehrmaligem Vorbeigehen, nie erreichbar gewesen und andere hätten explizit nicht antworten wollen, konnte sich die Initiantin verteidigen. Immerhin hätte eine Mehrheit mitgemacht – von den rund 150 Haushaltungen hätten 128 ihre Meinung kundgetan. Das Resultat war deutlich: Mit 74 Prozent äusserten sich die Befragten positiv zu Tempo 30, 16 Prozent dagegen, drei neutral. Ebenso enthielten sich drei Prozent und fünf waren nicht erreichbar.
Bei den Bemerkungen fiel auf, dass sowohl Gegner wie viele Befürworter explizit keinerlei Verbauungen wie Schwellen oder Kissen wünschten. Nur wenige waren der Meinung, dass in Wittenwil grundsätzlich niemand zu schnell unterwegs sei, sie appellierten an die Eigenverantwortung und an eine verantwortungsbewusste Kindererziehung.
Letztes Wort in Wittenwil noch nicht gesprochen
Nicht die Frage, ob und wann die Beschränkung kommen soll, sorgte für rote Köpfe – es war vielmehr das wie, das die Gemüter erhitzte. Wenige forderten Schwellen oder Verengungen an den Dorfeingängen, andere wären mit Beschilderungen und Markierungen auf der Strasse zufrieden. Einer der Landwirte verteidigte seinen Berufsstand und erklärte, dass – egal wie gross – ein Traktor auf 40 Stundenkilometer beschränkt sei. Ihnen würde mit Verbauungen jeder Art die Ausführung ihrer Arbeit erschwert.
Er lud Interessierte zu einer Probefahrt ein. Es ergab sich ein Hin und Her an Pro- und Kontra-Meinungen. Unvermittelt standen landwirtschaftliche Maschinen und ihre Bremswege im Brennpunkt. Zwischenzeitlich drohten gar Gräben zwischen Alteingesessenen und Neuzuzügern aufzureissen, bevor eine Wittenwilerin das Wort ergriff und zur Besonnenheit aufrief: «Ich bin etwas erstaunt über die momentane Heftigkeit. Mein Wunsch ist, dass wir beim nächsten Mal auf den eigenen Tacho schauen und prüfen, wie schnell wir fahren. Wir alle sind der Verkehr und wir sollten aufhören mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. Mir wurde kürzlich von zwei ‹Töfflis› der Rechtsvortritt genommen, und jetzt?» Für dieses deeskalierende Statement erhielt sie Applaus.
Stefan Mühlemann bekräftigte, das Anliegen verstanden zu haben. Er werde nun die Kommission beauftragen, ein entsprechendes Konzept auszuarbeiten und dieses, bevor es ins Bewilligungsverfahren zum Kanton weitergehe, noch einmal vorstellen. Vom Zeithorizont dürfte vor Frühjahr/Sommer 2025 nichts passieren. Ein Grund liege in der Baustelle, die im Moment die Durchfahrt erschwert. Diese müsse erst abgeschlossen sein, damit verbindliche Geschwindigkeitsmessungen an den erforderlichen Punkten durchgeführt werden könnten. «Ich schlage vor, wir gehen den beschriebenen Weg, damit wir in Wittenwil in absehbarer Zeit eine 30er-Zone errichten können», sagte Mühlemann unter Beifall der Befürworter. Er musste sich aber auch deren Bedenken stellen, dass das Anliegen erneut im Sand verlaufen könnte und man sich in zehn Jahren wieder einfinde, ohne dass etwas passiert sei.
Der Angst der Gegner, dass erst «harmlose» Tafeln installiert und in zwei, drei Jahren Schwellen, Berliner Kissen und/ oder Verengungen die Durchfahrt zum Hindernisparcours verkommen lassen könnten, konnte die Behörde allerdings nichts entgegnen.
MARIANNE BURGENER