Die zwei neuen Gemeinderätinnen im Interview

  21.06.2022 Elgg

Der Gemeinderat wird ab 1. Juli die Arbeit in seiner neuen Zusammensetzung aufnehmen. Neu gewählt wurden im März von der SP Stephanie Hugentobler und Mirjam Lehmann-Schwager vom HGV. Wie bereitet man sich auf ein solches Amt vor, und welche Vorsätze haben die beiden Frauen gefasst?

Für Stephanie Hugentobler war die Wahl wie Geburtstag, einfach ohne Geschenke, wie die damals Frischgewählte zu Protokoll gab. Auch Mirjam Lehmann-Schwager freute sich im März über den baldigen Einzug in den Gemeinderat mit den Worten: «Ich freue mich riesig und bedanke mich für das Vertrauen.» Seit dem Wahlsonntag sind ein paar Wochen vergangen. Doch wie bereitet man sich auf die Aufgaben im Gemeinderat vor? Steigt die Nervosität vor der ersten Sitzung im Gremium? Um Antworten auf diese und weitere Fragen zu erhalten, hat sich diese Zeitung mit den beiden Neupolitikerinnen zum Interview getroffen.

FRAGE: WIE BEREITET MAN SICH ALS GEWÄHLTE AUF DAS AMT EINER GEMEINDERÄTIN VOR?
Lehmann-Schwager: Gedanken machen kann man sich natürlich schon, aber konkret auf das Amt vorbereiten und allfällige Ziele definieren, ist schwierig. Vor allem, wenn noch nicht bekannt ist, welches Ressort man übernehmen wird. Das werden wir ja erst am 29. Juni erfahren. Aber natürlich mache ich mir Gedanken, was ich menschlich oder führungstechnisch einbringen möchte; ebenso zu übergeordneten Themen, wie die Verbesserung der Kommunikation oder das Zusammenwachsen der einzelnen Aussenwachten.
Hugentobler: Das geht mir auch so. Natürlich wissen wir ziemlich sicher, was wir übernehmen, aber definitiv erst in einigen Tagen. Ich bereite mich gedanklich auf die neue Aufgabe vor und fokussiere mich auf das, was mir wichtig ist. Wofür stehe ich ein? Diese Vorbereitung fand grösstenteils bereits im Wahlkampf statt. Ausserdem habe ich mich für den Kurs des Kantons für neue Gemeinderäte und Gemeinderätinnen angemeldet, der allerdings erst nach der Sommerpause stattfindet. Das Amt wird für mich einige Umstellungen nach sich ziehen, so werde ich meine Unterrichtsstunden am Mittwochnachmittag in Zürich nicht mehr regelmässig durchführen können, weil dann die Gemeinderatssitzungen stattfinden. Ich lasse es auf mich zukommen und will zuerst die Situation kennenlernen und einschätzen.

STEIGT LANGSAM DIE NERVOSITÄT VOR DER ERSTEN SITZUNG?
Hugentobler: Ich bin nicht nervös. Ich habe Respekt, freue mich und bin «gwunderig» auf das, was kommt.
Lehmann-Schwager: Nein, also nervös bin ich auch nicht. Ich sehe es ganz ähnlich wie Stephanie. Ich habe Respekt vor der grossen Aufgabe, die ich für die Gemeinde übernehmen darf und natürlich möchte ich der Bevölkerung, die mich gewählt hat, etwas zurückgeben.

Grosses Engagement für Politik und Gesellschaft

WAS WOLLTEN SIE ALS KIND WERDEN?
Hugentobler: Verschiedenes. Da war ganz früher einmal der Wunsch, als Flight-Attendant oder wie es damals noch hiess, Stewardess, um die Welt zu fliegen. Dann folgte Kindergärtnerin und in der Oberstufe interessierte ich mich für den Beruf der Werbetexterin, was ich schliesslich dann – unter anderem – geworden bin.
Lehmann-Schwager: Ich hatte ziemlich früh die Idee, Krankenschwester zu werden. Der Wunsch wurde kurzfristig durch Flight-Attendant sowie eine kaufmännische Ausbildung abgelöst, bis ich mich dann doch für Krankenschwester entschied. Ein Ansinnen, das ich allerdings wieder begrub, weil die Ausbildung erst mit 18 Jahren angetreten werden konnte. So schaute ich mich um und trat schlussendlich eine Lehre als Drogistin an, was mir sehr grossen Spass gemacht hat. Die Ausbildung war denn auch einer der Gründe, dass ich heute in Elgg lebe: Mein Lehrbetrieb war die Drogerie Keller in Elgg.

WARUM HABEN SIE SICH ENTSCHIEDEN, SICH FÜR DIE POLITIK ZU ENGAGIEREN/EXPONIE UND NICHT FÜR EIN GEMEINNÜTZIGES AMT MEHR IM HINTERGRUND?
Lehmann-Schwager: Das Gemeinnützige hatte ich bereits mit meiner achtjährigen Tätigkeit in der Sozialbehörde, was mir viel Freude bereitete. Aber man bewegt sich dort schon in einem relativ engen Rahmen mit begrenzten Möglichkeiten. Daraus ist der Wunsch entstanden, mehr mitgestalten und -entscheiden zu wollen und so habe ich als Gemeinderätin kandidiert.
Hugentobler: Das ist eine typische Frauenfrage, die man einem Mann niemals stellen würde, das möchte ich hier doch kritisch anmerken (lacht). Seit meiner Jugend engagierte ich mich in verschiedenen Bereichen. So gab ich nach meiner Konfirmation Sonntagsschule, half beim Aufbau des Domino- und später des Jugendtreffs mit und betätigte mich unter anderem bei Faustball Elgg. Später habe ich den Berufsverband der Schweizer Texterinnen und Texter präsidiert. Also blicke ich auf eine lange ehrenamtliche Zeit zurück und ausserdem schliesst ein Amt im Gemeinderat solche Engagements nicht aus.
Lehmann-Schwager: Richtig, das schliesst sich nicht aus. Ich leite ja unter anderem als Co-Präsidentin den neu gegründeten Dorfverein.
Hugentobler: Ja eben. Und ich hatte nun Lust, in die Politik zu gehen. Als die erste Anfrage vor rund 20 oder sogar 25 Jahren an mich gerichtet wurde, lehnte ich noch ab. Nun aber schien mir die Zeit reif für eine Kandidatur.

Vereintes Einstehen für eine Sache ist typisch Elgg

NUTZEN SIE SOCIAL MEDIA – UND WAS WAR DAS THEMA DES LETZTEN POSTS?
Hugentobler: Nein, ich nutze seit Frühling 2020 keine sozialen Medien mehr. Und wenn, dann nur geschäftlich – zum Beispiel zum Thema der Sporthalle. Vielleicht irgendwann mal wieder, aber im Moment sehe ich da keinen Bedarf.
Lehmann-Schwager: Ich bin eher Mitleserin. Vielleicht poste ich ab und zu mal ein Bild, das ich schön finde.

...UND FÜR POLITISCHE KOMMUNIKATION?
Hugentobler: Vielleicht kann sich das entwickeln, wenn ich sehe, dass es eine gute Art wäre, etwas zu kommunizieren. Und wenn mich die Lust packt, über diese Kanäle politische Inhalte zu vermitteln und einen Einblick in Aktuelles zu geben.
Lehmann-Schwager: Für mich würde das Sinn machen, wenn die Gemeinde diese Möglichkeit ebenfalls einsetzt. Dann könnte ein Dialog entstehen oder man könnte ein Anliegen teilen. Aber klar, man wäre dann wieder ständig online und präsent, was sehr anstrengend wird.

ERFOLGREICH WURDE VON LINKS BIS RECHTS FÜR DEN VERBLEIB DER POSTSTELLE IN ELGG GEKÄMPFT. IST DER EINSATZ FÜR EINE GEMEINSAME SACHE ÜBER DIE POLITISCHE EINSTELLUNG HINWEG EIN MERKMAL FÜR EINE LANDGEMEINDE?
Hugentobler: Ja. Also für Elgg ist das typisch. Wie es in anderen Gemeinde läuft, kann ich nicht beurteilen, aber für unseren Ort ist es nicht erstaunlich, ein gutes Beispiel, wie wir funktionieren. Elgg ist so, würde ich sagen.
Lehmann-Schwager: Ja, das kann ich so nur bestätigen. Wenn man sich für etwas wirklich einsetzt, geht es um dieses Thema und nicht um Parteizugehörigkeiten. Das Beispiel mit der Poststelle ist ein schönes Muster dafür.

In Umfeld und Familie beginnt politisches Interesse

WIE IST IHRE MEINUNG ZUR ABLEHNUNG DES STIMMRECHTSALTERS 16 AUF KANTONALER UND KOMMUNALER EBENE VOM 15. MAI?
Lehmann-Schwager: Für alle, die gerne Verantwortung bereits im jugendlichen Alter übernehmen möchten, finde ich es sehr schade. Für sie ist die Ablehnung wie eine Klatsche. Für die anderen, die sich nicht engagieren möchten, spielt es keine Rolle. Die gehen wahrscheinlich auch später nicht abstimmen. Ich hätte es gut gefunden, wenn die Senkung angenommen worden wäre.

... TROTZ DES ARGUMENTS, DASS MAN MIT 16 NOCH KEINE STEUERN BEZAHLT?
Lehmann-Schwager: Nein, also das ist kein Argument. Wir reden hier von einem so kleinen Prozentsatz – darüber muss nun wirklich nicht diskutiert werden.
Hugentobler: Ich hätte es auch befürwortet, wenn die Vorlage angenommen worden wäre. 16 finde ich ein gutes Alter, die Jugendlichen abzuholen und einzubinden. Man sollte grundsätzlich damit anfangen, Kinder und Jugendliche für politische Anliegen zu begeistern und ihnen aufzuzeigen, wie wichtig eine Teilnahme an Abstimmungen und Wahlen ist. Für mich ist es eine vergebene Chance. Natürlich ist die Herabsetzung des Stimmrechtsalters keine Garantie für ein Mitmachen, aber nun werden wir es vorerst nicht herausfinden. Schliesslich ist eigentlich alles politisch, was wir tun.
Lehmann-Schwager: Mit politischer Bildung sollte nicht erst in der Gewerbeschule angefangen werden, das ist doch einfach zu spät.
Hugentobler: Ja, das ist wirklich zu spät. Beim einen oder anderen Thema müsste man bereits in der Primarschule mit Sensibilisierung anfangen.
Lehmann-Schwager: Politische Bildung findet zu einem grossen Teil auch im Umfeld oder in der Familie statt. Man diskutiert aktuelle Themen und motiviert sich gegenseitig, aktiv teilzunehmen. Mein Grossvater war schon im Gemeinderat, dann im Grossen Rat, hat diesen sogar präsidiert. Bei uns wurde vor Abstimmungen immer debattiert. Ich lernte früh, für meine Meinung einzustehen. Das motivierte uns Junge natürlich, abzustimmen.
Hugentobler: Ich wuchs ebenfalls in einer politisch aktiven Familie auf. Mein Vater war 16 Jahre lang im Gemeinderat. Politik war bei uns am Tisch immer ein Thema. Und oft gab es heftige Diskussionen, wenn verschiedene Meinungen vertreten waren. Das kenne ich also ebenfalls bestens.

WIE VERBRINGEN SIE DIE SOMMERFERIEN?
Hugentobler: So wie immer: mit Arbeiten. Ich wüsste jetzt nicht, wo und warum ich Ferien machen sollte. Vielleicht fahre ich für eine oder zwei Nächte weg – zum Beispiel nach Konstanz, was ich schon lange gerne einmal machen möchte. Oder für ein Wochenende zu meinem Sohn Leo nach Basel. Aber sonst mache ich keine klassischen Ferien.
Lehmann-Schwager: Ich werde zwischen dem Tessin und Elgg etwas pendeln. Wir haben im Südkanton einen festen Wohnwagen und so sind wir ab und zu dort und dann wieder hier zu Hause. Ich nahm mir vor, die Strecke endlich einmal mit dem Velo zu fahren. Dafür werde ich mir etwa vier Tage Zeit nehmen. Ein Mini-Sabbatical für mich, allein auf einer schönen Strecke über die Pässe.
Hugentobler: Pilgern per Velo …
Lehmann-Schwager: Ja, etwa so.

Die «Elgger/Aadorfer Zeitung» bedankt sich für die Zeit, die sich die beiden für dieses Interview genommen haben und wünscht den zwei Damen für die kommenden Aufgaben im Dienste der Gemeinde alles Gute.

TEXT UND INTERVIEW: MARIANNE BURGENER


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