«Die Überhöhung des Priesteramtes ist ein Problem»
30.09.2023 HagenbuchAndreas Ruckstuhl, Präsident der Kirchenpflege St. Georg Elgg, hat seit den jüngsten Missbrauchsfällen innerhalb der katholischen Kirche mit Mitgliederschwund zu kämpfen. Die Kirche müsse nun reformiert werden – und die Macht der Priester gehöre ...
Andreas Ruckstuhl, Präsident der Kirchenpflege St. Georg Elgg, hat seit den jüngsten Missbrauchsfällen innerhalb der katholischen Kirche mit Mitgliederschwund zu kämpfen. Die Kirche müsse nun reformiert werden – und die Macht der Priester gehöre eingedämmt.
Andreas Ruckstuhl zeigt sich schockiert: «Damit hätte ich nicht gerechnet. Ich bin konsterniert», sagt der Präsident der Kirchenpflege St. Georg Elgg gegenüber der «Elgger/Aadorfer Zeitung». Die Rede ist von den jüngsten Skandalen in der katholischen Kirche. Kürzlich schilderte eine Studie 1000 Missbrauchsfälle. Seither tobt eine heftige Diskussion. Das mediale Echo ist gewaltig. Längst werden Forderungen nach Reformen laut. Widerstand kündigte unter anderem der Kirchenrat der katholischen Kirchgemeinde Adligenswil an. Er teilte mit, dass er den Kirchensteueranteil, der normalerweise ans Bistum überwiesen wird, nun sofort auf ein Sperrkonto einzahlt. Der Rat fordert andere Kirchgemeinden auf, das Gleiche zu tun.
Austretende nennen Gründe hierfür nicht
Die Missbrauchsfälle gehen auch an den katholischen Kirchen der Region nicht spurlos vorbei. «In den letzten Wochen haben wir leider deutlich mehr Austritte als sonst verzeichnet», sagt Ruckstuhl. Die grosse Mehrheit der Austretenden würde zwar keinen Grund für ihren Austritt angeben. Doch für den Präsidenten der Kirchenpflege St. Georg Elgg, die zuständig für die Orte Elgg, Hagenbuch und Hofstetten ist, liegen die Gründe hierfür auf der Hand: «Zwischen den jüngsten Austritten und dem medialen Echo, das es nach den Missbrauchsfällen gegeben hat, besteht ein klarer Zusammenhang.» Auf das genannte Vorgehen der Kirchgemeinde Adligenswil angesprochen, entgegnet Ruckstuhl: «Ich habe Verständnis für das Anliegen.» Er fügt aber auch hinzu: «Der Druck muss über die unterschiedlichsten Gremien aufgesetzt werden.» So weit aus dem Fenster lehnen will man sich in der katholischen Pfarrei St. Georg Elgg nicht.
Wichtig sei: «Wir müssen zuerst vor unserer eigenen Türe kehren und schauen, dass es bei uns keine Probleme gibt.» Missbrauchsfälle innerhalb der Pfarrei seien ihm keine bekannt. Besser als das starke Vorpreschen in Adligenswil erachtet er das Vorgehen des Synodalrats, die Exekutive der Kantonalkirche Zürich. Ratspräsident Raphael Meyer betonte jüngst, dass der «konsequenten Aufarbeitung der Missbräuche» nun oberste Priorität zukäme. Nun benötige es einen Kulturwandel sowie auch eine transparente und offene Kommunikation. Meyer plädiert zudem dafür, dass auch Frauen Zugang zu allen Weiheämtern erhalten sollten.
In eine ähnliche Richtung geht auch Felix Gmür, oberster Schweizer Bischof. Er äusserte sich am vergangenen Wochenende zu den Missbrauchsvorfällen in der «NZZ am Sonntag». Dabei machte er Aussagen, die durchaus überraschten: «Die Zeit ist reif, die Zölibatspflicht abzuschaffen», sagte Gmür. Er plädierte für mehr Unabhängigkeit gegenüber Rom respektive eine Dezentralisierung. Weiter sagte er, dass es künftig auch für Frauen und Verheiratete möglich sein sollte, Priester respektive Priesterin zu werden.
Für Gmürs Aussagen zeigt Ruckstuhl Sympathien. Er räumt aber gleichzeitig ein: «Sehr viel bewirken werden seine Worte vermutlich nicht.» Hierzu seien die Hierarchien der katholischen Kirche zu festgefahren. Schliesslich sei man eingebettet in die Weltkirche. Entsprechend wenig Spielraum habe die katholische Kirche hier in der Schweiz.
Zu viel Macht für Priester
Ein Problem sieht Andreas Ruckstuhl in der Männerdominanz innerhalb der katholischen Kirche. «Die Eucharistiefeier ist bloss Priestern, das heisst geweihten Männern, vorbehalten.» Die Katholiken glauben, dass Jesus während der Feier in Wein und Brot gegenwärtig wird. «Dieser geschlossene Zirkel erlaubt eine Überhöhung des Priesteramtes, die wiederum zu Machtmissbrauch verleitet.»
Dagegen benötige es entsprechende Präventivmassnahmen. Ruckstuhl verweist etwa auf saubere Strafregisterauszüge, die für die unterschiedlichsten Ämter in der katholischen Kirche schon heute vorgewiesen werden müssen. Der Präsident der Kirchenpflege St. Georg Elgg hofft, dass der mediale Druck nun Wirkung zeige. Gleichzeitig bleibt er realistisch: «Wir sind als Kirchgemeinde zu klein, um hier Druck aufzubauen.» Die Mühlen der Kirche mahlten langsam. Auch müsse man sich bewusst sein: Zu glauben, dass die Kirche nun im Eiltempo zum «Saubermann» mutiere, sei illusorisch.
Nicht äussern will man sich zu den jüngsten Vorfällen in den Pfarreien St. Alexander in Aadorf und St. Bernhard in Tänikon. Dort schweigt man zu den jüngsten Missbrauchsvorfällen. Rolf Anliker, Präsident der katholischen Kirchgemeinde Aadorf-Tänikon, wollte gegenüber der «Elgger/Aadorfer Zeitung» nicht Stellung beziehen. Er verwies auf den Kirchenrat.
Scharfe Kritik wiederum äusserten die Mitglieder der Kirchenräte aus dem Pastoralraum Region Willisau, dem die Kirchgemeinden Geiss, Gettnau, Hergiswil, Menzberg, Menznau und Willisau angehören. Sie schlossen sich der erwähnten Forderung der Kirchgemeinde Adligenswil an, wie sie am Mittwoch in einer Medienmitteilung informierten. Die genannten Kirchgemeinden werden den Steueranteil, den das Bistum Basel erhält, auf ein Sperrkonto zahlen. Auch unterstützen sie die Forderungen, welche die Luzerner Kirchgemeinde jüngst erhoben hat. Letztere fordert, dass bei Missbräuchen künftig eine unabhängige Meldestelle eingerichtet werde. Ebenso will man unabhängige Untersuchungen, die an nicht kirchliche Stellen übertragen werden. Zudem wird verlangt, dass keine Aktenvernichtungen mehr erfolgen und die Archive von Nuntius Martin Krebs geöffnet werden.
RAFAEL LUTZ