Die Täufer im Thurgau
17.05.2025 ThurgauWährend die weltweite Gemeinschaft der Täufer sich ihrer Anfänge vor 500 Jahren besinnt, das Interesse an ihr anhält, ihre Erforschung laufend weitere Erkenntnisse zeigen, gibt es dazu im Thurgau noch wenig reflektierte Spuren. Im Protest gegen Kirche und Staat hatte die ...
Während die weltweite Gemeinschaft der Täufer sich ihrer Anfänge vor 500 Jahren besinnt, das Interesse an ihr anhält, ihre Erforschung laufend weitere Erkenntnisse zeigen, gibt es dazu im Thurgau noch wenig reflektierte Spuren. Im Protest gegen Kirche und Staat hatte die Bewegung anfangs 1525 in der Stadt Zürich und ihren ländlichen Vororten begonnen und sich rasch ausgebreitet. Frühere Historiker, welche sich in der lokalen Kirchengeschichte vieler Details annehmen, geizen oft bei religiösen Minderheiten. Das Suchergebnis zum Täuferthema im Thurgau bleibt daher ernüchternd übersichtlich.
Den Meister der Thurgauer Geschichtsschreibung J. A. Pupikofer (1797–1882) beschäftigen die Täufer wenig. Mit den Neutäufern in seiner Gemeinde jedoch muss er sich auseinandersetzen. Er erinnert daran: Auf der Synode von Frauenfeld (1529) wurde die Lehre der Wiedertäufer besprochen und ein Jahr später im Reformationsmandat nochmals bestritten.
Ernst Leisi (1878–1970) erlaubt sich in seiner «Geschichte der Stadt Frauenfeld« (1946) zum Thema nur die Bemerkung: In fünf arbeitsreichen Tagen wurden alle schwebenden Fragen durchbesprochen, die lutherische und täuferische Gegnerschaft beseitigt.
Alfred Knittel (1894–1971) öffnet in seinem umfangreicheren Werk «Die Reformation im Thurgau« (1929) den Fächer: Ludwig Hätzer aus Bischofszell und Ulrich Hugwald aus Wilen-Gottshaus seien Täufer gewesen. Er wird ausführlicher bei der Frauenfelder Synode und den Täufern: Zwei Pfarrer aus dem Appenzellerland hatten hier die Disputationsakten aus Teufen vorgelegt, mit sechs Thesen ihrer Kontrahenten:
1. Dass man einer Obrigkeit gehorsam sein soll in dem, was sie befehle, und dies nicht wider Gott sei.
2. Dass ein Christ nicht möge «am Gewalt sin und regieren« (meint: nicht einer Obrigkeit angehören, die das Schwert zur Strafe für Übeltäter braucht.)
3. Dass ein Christ keinen Eid schwören darf.
4. Dass die Kindertaufe nicht aus Gott ist.
5. Dass wer durch das Blut Christi gereinigt worden, ohne Sünde, heilig und unsträflich ist.
6. Dass man mit den Prädikanten keine Gemeinschaft haben und ihnen nicht in die Predigt gehen darf, weil sie nicht als christliche Lehrer und Apostel erfunden werden. Knittel ermöglicht ausserdem die Lektüre des Reformationsmandates (1530) von Landvogt Philipp Brunner.
Ernst Herdi (1890–1974) erklärt sich in seiner «Geschichte des Thurgaus» die Leidenschaftlichkeit des Bauernkrieges mit der Sekte der Wiedertäufer, «einer Art Edelkommunisten, die in radikaler Weise, in der Gütergemeinschaft und Ablehnung der Obrigkeit, nur unter der Wirkung des Heiligen Geistes das Urchristentum meinten herstellen zu können».
Alfred Vögeli (1912–1987) erfasst in «Huldrych Zwingli und der Thurgau» das theologisch Wesentliche an der Synode von 1529: Die Täufer anerkennen zwar den Gehorsam gegen die Obrigkeit in allen Dingen, die nicht wider Gott sind. Aber sie untersagen dem Christen, ein öffentliches Amt zu bekleiden, einen Eid zu leisten, die Kinder zu taufen und die Predigt der Prädikanten anzuhören.
Als Erlöste beanspruchen sie, ohne Sünde zu sein. Damit sind sie die Ersten, welche das Corpus christianum nicht mehr als Leitbild anerkennen und die Volkskirche zugunsten eines Konventikels verwerfen! – Zwingli entgegnet: ein Christ ist zugleich ein verantwortlicher Bürger. Die Rechtsordnung der Gesellschaft durch die Liebesordnung der Bergpredigt ersetzen zu wollen, ist eine Illusion. Seine Schrift «Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit» erhält auch für den Thurgau Gewicht und Geltung.
Die Wiedertäufer im «Reformationsmandat» – mit dem Frauenfelder Wappen
Im Jahre 1530 zieht für die «Gemeine Herrschaft Thurgau» Philipp Brunner aus Glarus, der erste reformatorisch gesinnte Landvogt, in Frauenfeld ein. Er erlässt das «Reformationsmandat», das nach Beschluss der zweiten Synode in Frauenfeld von Reformationsfreunden verfasst worden war. In Zürich bei Froschauer gedruckt, wird das 11-teilige Mandat, mit dem Frauenfelder Wappen versehen, für alle Bewohner der Landschaft Thurgau verbindlich:
«5. Von den Wiedertäufern: Welche das Sakrament der Taufe also schmähen, dass sie es den kleinen Kindern nicht erteilen, es gegen christliche Liebe und Freiheit verbieten oder verhindern,- oder welche in ihrer Jugend getauft worden, nun im Alter aus törichtem Wahn gegen die Wahrheit der göttlichen Schrift sich zu den «Rottengeistern», die man Wiedertäufer nennt, halten und sich wieder taufen lassen, oder welche dies zu tun predigen, lehren und diese Predigt im Holz, Feld oder in Winkelhäusern hören, annehmen und dieser Sekte anhangen, oder welche solcher Lehre und den Täufern in Haus und Hof Unterschlupf geben, die will ich, der ich nicht ihr Blut, sondern ihrer Seele Seligkeit und Heil begehre, von Stund an gefangen setzen und sie in der Gefangenschaft solange mit Habermus und Brot speisen, dazu auch gelegentlich sie peinlich behandeln (d.h. foltern) lassen, bis sie ihren Irrtum bekennen, ihn öffentlich widerrufen, davon abstehen und zur christlichen Einigkeit wieder bekehren. Wenn sie solches getan, dann will ich sie eine Urfehde schwören lassen, dass sie in Zukunft diese verführerische Sekte meiden und sich mit uns im göttlichen Wort gleichförmig halten. Von der Pein des Schwertes und der Gefangenschaft sollen sie dann befreit und wieder als christliche Brüder und Schwestern anerkannt werden. Welche aber von ihrem Irrtum nicht abstehen wollen, die will ich bis an ihr Lebensende im Gefängnis behalten und sie darin sterben lassen, damit sie niemand mehr verführen. Wer nach dem Schwur der Urfehde rückfällig wird, sich des Irrtums wieder annimmt und seine Ehre und seinen Eid übersieht, den will ich als ehrlosen, meineidigen und abtrünnigen Christen ohne alle Gnade mit dem Schwert vom Leben zum Tod richten lassen. Darnach mögen sich manche zu richten und vor Schaden zu hüten wissen!»
Aus dem Verborgenen in die Oeffentlichkeit
Auch Jahrhunderte später, gegen Ende der Restauration (1814–1830), wiederholt sich der Umstand, dass sich im Thurgau Wiedertäufer weigern, ihre Kinder in den Religionsunterricht der anerkannten Kirchen zu schicken. Das bleibt im Staatsarchiv vermerkt. Auch der Umstand, dass die Regierung die «widerspenstigen Hausväter zur Ordnung weisen» liess.
Ein eigentlicher Schwerpunkt der freikirchlichen Täuferbewegung im Thurgau bildet sich ab Ende des 18. Jahrhunderts in Hauptwil und Bischofszell und reicht bis in die Gegenwart. Der in Hauptwil aus Erlen zugezogene Färber J. J. Brunschwiler (1759–1830) hatte in seinen Fabrikationsräumen in der «oberen Farb» Erbauungs- und Missionsstunden eingerichtet. Um 1800 werden 30 bis 40 Gottesdienstbesucher gezählt. Der früher reformierte Theologe Samuel Heinrich Fröhlich (1803–1857) heiratet 1836 eine Tochter Brunschwilers und bringt die glaubenstäuferische Erweckungsbewegung nach Hauptwil. Dadurch trennt sich der Kreis in der «Farb» von der Landeskirche. In Hauptwil, Bischofszell und in Gemeinden des angrenzenden Kantons Sankt Gallen versammeln sich um ihn 300 bis 400 Personen. Die höchste Mitgliederzahl zählt Bischofszell im Jahr 1902 mit 196 Personen, 1886 werden elf Aussenstationen betreut, ab 1933 keine mehr. Die facettenreiche Geschichte der Freikirche aus Täuferherkunft findet sich ausführlich beschrieben in Lothar Nittnaus, «Baptisten in der Schweiz. Ihre Wurzeln und ihre Geschichte»«.
Schlussbemerkung
Im Protest gegen Kirche und Staat hatte die Täuferbewegung anfangs 1525 in der Stadt Zürich und ihren ländlichen Vororten begonnen, breitete sich rasch aus und war schliesslich, nach uferlosen Debatten, mehrheitlich abgelehnt worden. Zwinglis Nachfolger, Heinrich Bullinger, meint im vielbeachteten Zweiten Helvetischen Bekenntnis: «Wir verwerfen auch alle andern Lehren der Wiedertäufer, die entgegen Gottes Wort eigene Fündlein enthalten. Wir sind also nicht Wiedertäufer und haben mit ihnen rein nichts gemein.»
Die damaligen Zürcher Regierungen mahnen und warnen die Täufer. Einzelne geben nach und auf, andere lassen sich nicht beeindrucken, bekennen treu, widerstehen und bleiben in Staat, Kirche und Gesellschaft Verweigernde. Die Obrigkeit kennt schliesslich, nach vielfachem Entgegenkommen, keine Toleranz mehr. Sie befürchtet eine sich auflösende Mehrklassengesellschaft. Bestrafung und Leid folgen, ergreifend und schrecklich.
MARKUS SCHÄR