Die Täufer brechen ein Tabu – die ersten Erwachsenentaufen
01.02.2025 RegionAn der kirchlichen Erneuerung in Zürich zur Reformationszeit beteiligen sich viele Personen und Gruppen. Eine der radikalen Gruppen fordert vernehmlich, unmissverständlich und kompromisslos, dass jetzt endlich zentrale biblische Botschaften unverzüglich verwirklicht werden – ...
An der kirchlichen Erneuerung in Zürich zur Reformationszeit beteiligen sich viele Personen und Gruppen. Eine der radikalen Gruppen fordert vernehmlich, unmissverständlich und kompromisslos, dass jetzt endlich zentrale biblische Botschaften unverzüglich verwirklicht werden – im individuellen und öffentlichen Leben.
Diese Radikalen stehen ganz an Huldrych Zwinglis Seite: in der Ablehnung der bischöflich-katholischen Hierarchie und Tradition, des Fastens, der Bilderund Heiligenverehrung, der Abschaffung der Messe und der Einführung des Abendmahls. Zwingli freut sich, dass diese Radikalen – später Täufer oder Wiedertäufer genannt – allein «Christum Jesum, den gekreuzigten, glauben».
Die «wahren Gläubigen» lehnen Kindertaufen ab
Aber während die Radikalen auf die sofortige Umsetzung der Reformation zu drängen beginnen, überlässt der Reformator den Zeitpunkt der Durchführung dem Rat von Zürich. Es gilt abzuwarten, den Bogen nicht zu überspannen, eine Mehrheit zu überzeugen, vor allem die Spaltung der Gemeinde zu verhindern und die Volkskirche zu bewahren.
Die Radikalen hingegen, die sich als die «wahren Gläubigen» sehen, verlangen in aussenkirchlichen Versammlungen und Zirkeln, «die reine Kirche» zu verwirklichen. Sie fordern anstelle der Kindertaufe die Erwachsenentaufe. In Zollikon wird schon der Taufstein für die Kinder zerstört.
Da die «wahre Kirche der Radikalen» nur aus «Wiedergeborenen» bestehen darf, verlangen die Täufer – nach Busse, Bekehrung und Bekenntnis – die Erwachsenentaufe. Sie widersetzen sich der Kindertaufe, da diese im Evangelium nicht begründet sei.
Rein historisch und theologisch gesehen sind die Täufer insofern im Recht, als auch die frühen Christen – dem neutestamentlichen Römerbrief des Paulus gemäss – die Tod und Auferweckung Christi nachvollziehende Erwachsenentaufe geübt haben. Nach ihrer Lebensumkehr und dem Bekenntnis.
Aber andererseits verbietet das Neue Testament die Kindertaufe an keiner Stelle. Und es ist naheliegend, dass an Textstellen, wo von Neubekehrten die Rede ist, die «mit ihrem ganzen Hause» getauft worden sind, die Unmündigen dazugehören. Auch die bei den Judenchristen noch beachtete frühe Beschneidung könnte in diesen Kontext gehören.
Es ist anzunehmen, dass aus diesem jüdischen Denken und Handeln heraus judenchristliche Familien ihre Knäblein anstelle der Beschneidung zur Taufe gebracht haben. So wie die Knaben der Juden und teilweise auch noch der Judenchristen vorher beschnitten worden waren, wurden sie später getauft. Beschneidungen und Taufen blieben lange Zeit ein interreligiöses Thema.
Direkt ist die Kindertaufe jedoch erst seit dem zweiten Jahrhundert belegbar. Auch die Kirche der Reformation in Zürich im 16. Jahrhundert konnte und wollte auf die Kindertaufe nicht verzichten. Sie wollte weiterhin die göttliche Gnade sichtbar und hörbar machen, die dem menschlichen Glauben und Unglauben vorausgeht und bleibt.
«… oder unserer Herren Stadt, Gericht und Gebiet räumen!»
Zunächst verlaufen die Zusammenkünfte und Aussprachen über die Kinderund Erwachsenentaufen in Zürich zwischen Vertretern der Reformierten und den Radikalen friedlich – aber ergebnislos. Alternativen, die man Jahrhunderte später sucht, findet und praktiziert, sind zur Reformationszeit undenkbar. Die Auseinandersetzungen um die Taufe eskalieren: Freunde des Sprechers der Radikalen, Konrad Grebel, bringen ihre Kinder ab dem Jahr 1524 nicht mehr zur Taufe in die Kirchen.
Der Rat von Zürich lädt zu einer weiteren Disputation ein. Sie findet am 17. Januar 1525 im Zürcher Rathaus statt. Konrad Grebel, Vertreter der Erwachsenentaufe, und Zwingli, Befürworter der Kindertaufe, stehen sich mit ihren Anhängern gegenüber. Für den Rat von Zürich sind Zwinglis Gründe für die Kindertaufe bibelgemäss und überzeugend.
Am folgenden Tag verlangt sein Mandat die Kindertaufe und ihre Nachholung binnen acht Tagen bei den bisher ungetauft gelassenen Kindern. «Und welcher das nicht wollte tun, der soll mit Weib und seinem Gut unserer Herren Stadt, Gericht und Gebiet räumen.»
Am 21. Januar werden vom Rat die privaten Erbauungsversammlungen untersagt. Konrad Grebel und sein Mitkämpfer Felix Manz erhalten ein Redeverbot. Die Radikalen Wilhelm Röubli, Pfarrer im Dorfe Witikon, Johannes Brötli in Zollikon, ein ehemaliger katholischer Priester, der aus Bischofszell stammende Kaplan Ludwig Hätzer und der als Verleger und Beschaffer theologischer Bücher tätige Bündner Andreas Castelberger werden ausgewiesen. Der erkrankte Castelberger darf noch einen Monat interniert in seinem Hause bleiben.
Massnahmen gegen den «Zerfall der Gesellschaft»
Als das Mandat vom 18. Januar 1525 zur Kindertaufe kein Gehör findet und nichts fruchtet, kommt es zu weiteren Gesprächen. Immer wieder versucht der Rat, die Täufer mit gütlicher Überredung zum Einlenken zu veranlassen.
Die Zürcher Obrigkeit und die junge Reformation sieht in den Täufern – die die Kindertaufe ablehnen, sich abseits der Kirchen in eigenen Versammlungen und Zirkeln zu Bibelstudium, Aussprachen und Abmachungen treffen, die sogar die eigene Obrigkeit infrage stellen, den Eid und den Wehrdienst ablehnen, über Zins und Zehnten diskutieren – eine existentielle Gefahr für das gesellschaftliche, staatliche und kirchliche Gefüge. Sie sehen das christliche Zusammenleben, den Zusammenhalt, den christlichen Körper – das «Corpus christianum» – bedroht.
Die Täufer sehen sich als die wahrhaft biblisch Gläubigen, als Gemeinschaft der sittlich Reinen, die als Bekehrte Getauften. Die Angehörigen der Volkskirche verstehen ihre Kirche als Gemeinschaft begnadeter Sünder: Hier die begnadeten Sünder der Volkskirche, die alle umfassen will, aber gerade deshalb voll Schwächen und Mängel ist, dort die sich nach der Erwachsenentaufe für sündenfrei haltende Gemeinschaft der Gläubigen mit ihrer Heiligkeitsillusion.
Dieses verschiedenartige Leitbild von Kirche lässt die beiden Gruppen nicht kommunizieren. Beide Parteien beanspruchen in den friedlichen, zunehmend gehässigen und schliesslich todernsten Auseinandersetzungen den Sieg für sich. Unnachgiebig verharren beide Seiten auf ihrem eigenen Standpunkt.
Die Täufer ziehen sich aufs Land zurück
Als bei der Mehrheit der Erfolg ausbleibt, schreitet die Obrigkeit zu während Jahrhunderten andauernden Auseinandersetzungen, zu Gesprächsabbrüchen, bürokratischen Kleinkriegen und Schikanen, Bestrafungen, Verhaftungen, Verfolgungen, Wegweisungen bis zu Todesvollstreckungen. Die Massnahmen in Zürich bewirken, dass die Täuferbewegung in der Stadt verschwindet, sich aber auf dem Lande festsetzt, wo die obrigkeitliche Kontrolle schwieriger ist. Sie findet sich zuerst in Zürichs Vororten, dann im Tösstal und im Oberland, greift aber schliesslich auf alle zürcherischen Gebiete über.
Aus einer chronologisch-geographischen Tafel für die Täuferbewegung in zürcherischen Orten (Nach dem Verzeichnis der in Emil Eglis «Acten der Zürcher Reformation» vorkommenden Orte – unvollständig aufgereiht):
• Die ersten Täufer finden sich ab 1522– 23 am Zürichberg in (Höngg), Witikon, Zürich, Zollikon, Riesbach
• in einer 1. Periode von 1523–25 in Witikon, Zürich, Zollikon, Riesbach, Zumikon, Balgrist
• in einer 2. Periode von 1525–27 in Zürich, Zollikon, Riesbach, Balgrist, Hirslanden, Itschnach, Küssnacht, Witellikon, Stadelhofen
• im Zürcher Oberland (Maur), (Nänikon), in Bäretswil, Hinwil, Oberhof, Gossau, Oberesslingen, Medikon, Dürnten, Egg, Ettenhausen, Tägernau, Herrlibergwald, Rüti, Oberhof; von hier aus in Oberwinterthur und Winterthur
• in einer 3. Periode 1527–31 in Zollikon, Zumikon. Ihr vorläufiges Erlöschen beginnt 1531
Die Täuferbewegung auf der Zürcher Landschaft:
• In einer 1. Periode von 1525–27 finden sich Täufer in Embrach, Wil, Oberglatt, Nerach, Stadel, Bülach, Haslen, Watt, Dällikon, Regensdorf
• in einer 2. Periode von 1527–31 auch in Rorbas, Weningen, Nassenwil, Eglisau, Tössriedern, Mettmenhasli, Oberhasli, Kloten und Katzenrüti
• Die Täuferbewegung im Zürcher Weinland existiert 1525–27 zuerst in Marthalen, ab 1527 bis 1531 auch in Waltalingen und Trüllikon. Sie erlischt vorerst ab 1531 in Welsikon, Altikon, Andelfingen, Gütighausen, Buch, Dorf, Ossingen, Truttikon, Stammheim
• Die Täuferbewegung erlischt vorerst ab 1531 auch im Knonaueramt in Affoltern am Albis und Mettmenstetten
Es überrascht, dass in Emil Eglis «Chronologisch-geographische Tafel für die Täuferbewegung in den zürcherischen Bewegungen» weder das Eulachtal noch der Flecken Elgg verzeichnet sind. Daher gilt es nochmals genauer hinzuschauen.
MARKUS SCHÄR