Die schnellste Frau der Welt zu Gast in Aadorf
20.11.2025 AadorfIm Rahmen von «Lesestadt Aadorf» lud der Verein am Sonntag zur Matinee in den Kleinkunstsaal. Steven Schneider las aus seinem Buch und diskutierte dieses mit Moderatorin Judith Zwick. Zweifellos einer der Höhepunkte des Wochenendes.
Präsidentin Cornelia Hasler-Roost ...
Im Rahmen von «Lesestadt Aadorf» lud der Verein am Sonntag zur Matinee in den Kleinkunstsaal. Steven Schneider las aus seinem Buch und diskutierte dieses mit Moderatorin Judith Zwick. Zweifellos einer der Höhepunkte des Wochenendes.
Präsidentin Cornelia Hasler-Roost eröffnete die Sonntagsmatinee mit ihrer persönlichen Begegnung mit der Erzählung «Die schnellste Frau der Welt», die an diesem Morgen im Zentrum stand. Anschliessend stellte sie dem vollen Saal den jungen Verein und dessen Entstehungsgeschichte vor. Ihre Nervosität, wie sie einräumte, war wohl der Bedeutung des Anlasses mit Autor Steven Schneider und der Literaturwissenschafterin und Philosophin Judith Zwick, die das Gespräch moderierte, geschuldet.
«Heute ist ein besonderer Tag – denn am 16. November wäre der Geburtstag unserer Protagonistin. Die Heldin, Alzbeta, würde heute 125 Jahre alt», eröffnete Zwick das Gespräch. Eine Frau, die wohl den wenigsten Gästen bisher ein Begriff war. Das sollte sich in der nächsten Stunde ändern – Die Moderatorin wollte mit Schneider über die Hintergründe und Motivationen sprechen, die zum Werk führten, begleitet von kurzen Lesungen. Aber: «Wir wollen nicht zu viel verraten, es passiert doch einiges.» Zudem wollte sie mehr über die Herausforderung erfahren, die das Schreiben eines Romans für einen Kolumnisten bedeutet.
Die Geschichte der schnellsten Frau der Welt
Der Roman erzählt das Leben von Alzbeta Junkova, eine der ersten und berühmtesten Rennfahrerinnen der 1920er-Jahre. Geboren 1907 im tschechischen Olmütz, träumt sie schon früh von Freiheit und Abenteuern, Fernreisen, von Selbstbestimmung und einem Leben abseits traditioneller Erwartungen. Während des Ersten Weltkriegs beginnt sie eine Ausbildung zur Bank-Korrespondentin und verliebt sich in ihren Vorgesetzten, Vincent Junek. Doch je mehr ihre Beziehung wächst, desto klarer wird Eliska (wie sie sich später nannte), dass eine traditionelle Ehe sie daran hindern würde, ihre Träume zu verwirklichen.
Trotzdem heiratet sie ihn und entdeckt durch seinen Einstieg in den Rennsport ihre Leidenschaft fürs Automobil. 1926 schlägt sie Vincent erstmals bei einem Rennen, ein starkes Symbol für ihre Begabung, ihren Ehrgeiz und ihren Freiheitsdrang. Aber trotz ihrer internationalen Erfolge fühlt sie sich zunehmend in einem «goldenen Käfig» und erkennt, dass sie als Frau in dieser Welt nicht dieselben Chancen hat wie Männer. Mehr von der Geschichte sei an dieser Stelle nicht verraten. Sie basiert weitgehend auf realen Begebenheiten, was der ihr zusätzliche Tiefe und Authentizität verleiht.
Schreiben zwischen Fakten und Interpretation
Seine Begeisterung für den Rennsport begleitet Schneider bereits seit seiner Jugend. Dabei seien es weniger die technischen Aspekte, sondern vielmehr die Menschen, die sich hinters Steuer der Boliden setzten. Seine Begegnung mit Alzbeta sei abgelaufen, wie Mann heutzutage halt Frauen kennenlerne: «Im Internet. Es war während Corona, als ich die Zeit mit Surfen totgeschlagen habe. Ich bin auf eine US-Webseite mit einer Liste von Rennfahrerinnen und so auf die Tschechin gestossen – ich wollte mehr über sie erfahren.» Das Publikum lernte eine Frau kennen, die sich dem Druck von Familie und Gesellschaft erfolgreich widersetzte, gestärkt durch die liebevolle Grossmutter, eine der prägendsten Figuren in ihrem Leben. Der Autor entführt seine Leserschaft in eine Welt von Geschwindigkeit und ständiger Gefahr: «Man fuhr damals nicht Autorennen, um alt zu werden. Die Boliden erreichten bereits über 200 Stundenkilometer, jedoch ohne die heutigen Sicherheitsvorkehrungen. Ein Rennen dauerte gut und gerne mehr als sieben Stunden. Eliska meisterte diese Aufgaben mit Köpfchen statt mit roher Gewalt – im Unterschied zu den physisch überlegenen männlichen Konkurrenten.»
«Wie ist es, eine Biografie zu schreiben über jemanden, der fast nichts hinterlassen hat?», wollte Zwick wissen, wie gross die erzählerische Freiheit sei. «Es ist eine Gratwanderung, weil man einem Menschen, der gelebt hat, ein neues Dasein gibt. Die Gedanken, die sich Eliska im Buch macht, sind meine. Ich stellte mir die Frage, ob eine Biografie wahrer sein kann. Wir wissen ja nicht, was Churchill oder Goethe wirklich gedacht haben. Auch Biografien sind nichts anderes als Interpretationen.»
Ein Buch, das niemand missen wollte
Schneider erzählte, welchen Einfluss die «Beziehung» zur Tschechin auf seine Ehe hatte, wie seine Frau auf das Manuskript reagierte und wie er sich trotz Selbstzweifeln entschied, weiterzuschreiben. «Niemand hätte mein Buch vermisst, wäre es nicht erschienen», meinte er.
Diese Einschätzung teilte im Saal jedoch niemand: Der Tisch mit den zum Kauf bereiten Exemplaren – geschmückt mit dem Konterfei von Alzbeta Junkova – leerte sich zusehends und vor dem Signiertisch bildete sich eine lange Schlange.
Es war nicht nur eine gelungene Matinee, sondern ein rundum erfolgreiches Wochenende. Der Vereinszweck der «Lesestadt Aadorf», Literatur ins öffentliche Leben zu tragen, wurde bei seiner ersten Durchführung sichtbar erfüllt. Auf die nächste Ausgabe dürfen sich alle Medien- und Literaturbegeisterten bereits freuen.
MARIANNE BURGENER


