Die Geschichte des verschwundenen Vereinsvermögens
01.10.2022 ElggDas Jodler-Doppelquartett hat sich per Dezember 2021 aufgelöst. Ein Ende, das von der Öffentlichkeit mehrheitlich unbeachtet vonstattenging. Weniger ruhig verlief dies allerdings hinter den Kulissen, wo nebst dem Bedauern über die Auflösung die Frage umtreibt, ob das Vereinsvermögen tatsächlich unrechtmässig verjubelt wurde.
Das reich bebilderte Orientierungsschreiben, das Ende August an alle ehemaligen Ehren- und Passivmitglieder, Freunde und Gönner sowie weitere Adressaten des Vereins ging, mutet wie ein Krimi mit bitterem Ende an. Es gibt zwar keine Leiche, aber nach dem Verfasser immerhin ein unrechtmässig verschwundenes Vereinsvermögen. Der Urheber des Schreibens, Ehrenmitglied des Turnvereins Elgg (TVE) und des Jodler-Doppelquartetts (JDQ), Ueli Reber, blickt zuerst 130 Jahre zurück: 1893 wurde der TVE gegründet. Innerhalb des Vereins bildete sich bald eine Gruppe von Turnersängern heraus, die 1919 beschloss, künftig unter dem Namen «Jodler-Doppelquartett des Turnvereins Elgg» aufzutreten. Sie blieben als eigenständige Sektion weiterhin ihrem Stammverein unterstellt, bis zu ihrer Auflösung vor einigen Monaten. Reber selbst trat den Jodlern 1984 bei, zuvor war er Mitglied beim TV; zehn Jahre später half er tatkräftig bei der Organisation der zweitägigen Feier zum 75-jährigen Bestehen des Vereins mit, ein Dorffest mit reger Beteiligung aller Vereine und sogar einer neuen Männertracht, die eigens aus diesem Anlasse erworben wurde. 2005 stiess ein neuer Präsident zum Club, ein Mann aus Wiesendangen, der die Gruppe im Sinne der Dorfgemeinschaft zwölf Jahre führte.
Die Unruhe kam mit den «Auswärtigen»
2013 trat der langjährige Elgger Dirigent ab. Als Nachfolgerin konnte eine Frau aus Neunkirch bei Hallau gewonnen werden. Unter ihrer Hand verliessen einige Sänger die Gruppe, weil ihnen Liederwahl und Probegestaltung missfielen. Nach Abtreten des Wiesendanger Präsidenten, musste ein neuer gesucht werden, das JDQ wurde in Sulz-Rickenbach fündig. Zudem wurde die Dirigentin als Aktivmitglied gewählt und übernahm als solches die Funktion der Beisitzerin, die bis anhin Ueli Reber innehatte. Fazit dieser Besetzung: Der gesamte Vorstand des JDQ bestand damit aus auswärtigen Personen. Im Chor noch zwei Aktivsänger aus Elgg, sonst auch hier mehrheitlich ortsfremde Mitglieder. Dem Verfasser des zitierten Schreibens schwante Böses, er vermisste das Engagement und das Herzblut für Elgg – anstatt dessen will er grosses Interesse am Vereinsvermögen von 12‘000 Franken ausgemacht haben.
Nach der Einladung zur Generalversammlung (GV) vom 6. Juli 2021 informierte sich Reber bei einem Rechtsberater, der Vereinsbank des Quartetts, der Zürcher Landbank, und in den Statuten von JDQ und TVE, dEm das Doppelquartett nach wie vor angehörte, was mit dem Vereinsvermögen im Fall der angekündigten, geplanten Vereinsauflösung zu geschehen hat. Dies ist klar festgehalten: Bei einer Auflösung des Vereins ist das gesamte Vermögen dem Zürcher Turnverband treuhänderisch zu übergeben, bis sich wieder ein neuer Verein mit dem gleichen Sitz und Zweck bildet. Muss eine Riege des Vereins aufgelöst werden, geht deren Vermögen zur treuhänderischen Verwaltung an den Verein. Soweit die entsprechenden Kernaussagen in den Statuten.
Zwei schicksalhafte Versammlungen
Am 6. Juli letzten Jahres – das JDQ mittlerweile 102-jährig – orientierte der Vorstand an der GV «Im Peter, Zünikon» seine Mitglieder über das Vorhaben, den Verein anlässlich der Dezember-Versammlung auflösen zu wollen. Dies aufgrund grosser Mühe, neue Mitglieder zu gewinnen und weil man nach fast zwei Jahren Coronapause praktisch frisch anfangen müsste. Der Vorstand habe die Anwesenden vor vollendete Tatsachen gestellt, schreibt Reber: «Die Auflösung ist bereits beschlossene Sache. Mit dem Vermögen sollten drei Kinderchöre mit je 1500 oder 2000 Franken unterstützt, der Rest mit vier monatlichen Treffen bei Speis und Trank aufgebraucht werden.» Reber bemängelt: «Der Turnverein sollte leer ausgehen, Statuten hin oder her. Mein Einwand, dass dies nicht rechtens sei und in Elgg etliche Jugendorganisationen und -vereine froh um Unterstützung wären, fand kein Gehör.»
Die Schlussversammlung, die 103. GV im Dezember, fand wiederum in einem Partylokal statt. Nicht einmal die rechtlichen Grundlagen seien erfüllt worden, kritisiert Reber: «Die GV wurde nicht mit Traktandenliste im Amtsblatt ausgeschrieben, wie dies in den Statuten vorgeschrieben ist. Somit ist fraglich, ob die Versammlung überhaupt rechtsgültig ist.» Weitere Unregelmässigkeiten prägten den Ablauf, so sei kein Aktuar bestimmt worden. Und dass der Stimmenzähler (Ueli Reber) das Protokoll beglaubigen müsste, sei nicht vorgesehen gewesen und der Revisor, der einen Fehler im Juli-Protokoll meldete, sei übergangen worden. Dieser zweifelte die Rechtmässigkeit der Schenkung für die drei Kinderchöre an und verlangte eine Änderung. Als Reber sich ebenfalls meldete, dass er gerne noch einen vierten Chor unterstützen möchte, da ausreichend Vermögen zur Verfügung stehe, sei er mit der Bemerkung abgetan worden, dass er mit diesem Antrag zu spät sei. Der Vorstand präsentierte daraufhin sein Traktandum «Auflösung des JDQ und Verwendung des Vereinsvermögens von 12’000 Franken».
Ueli Reber liess sich nicht beirren, ergriff abermals das Wort und las die Statuten vor, die genau festhalten, wem das Geld gehört. Die Antwort auch auf dieses Votum: Der Antrag käme zu spät, es sei seit Juli beschlossene Sache, was mit dem Vermögen bis zur Auflösung passieren sollte. Ein anwesendes Ehrenmitglied gab «dem Aufmüpfigen» zu verstehen, dass er sich beruhigen und schweigen solle. Der Vorschlag des Vorstandes sei anzunehmen. Diesem Antrag wurde schliesslich mit grosser Mehrheit zugestimmt, bevor sich alle – bis auf Reber – an einem Raclette gütig taten. In der Folge unternahm ein Grossteil des Jodler-Doppelquartetts einen Ausflug nach Luzern, in der Tasche, wie vorgesehen, der Rest des Vermögens, den man der dortigen Gastronomie zukommen liess.
Am 9. Januar erhielt Reber in seiner Funktion als Stimmenzähler das Protokoll zur Unterzeichnung. Er habe festgestellt, dass keiner seiner Einwände protokolliert war, worauf er das Papier ohne Unterschrift retournierte. Ebenso hätte er vom Vorstand eine ordentliche Abrechnung und eine Kontrolle durch die Revisoren von JDQ und TVE verlangt. Die Antwort, die er bekommen habe: «Da gibt es nichts mehr zu kontrollieren, der Kassenbestand ist bei null.» Rebers Schlussfeststellung, dass das gesamte Geld «verfressen und versoffen» wurde, deckt sich somit mit dem Beschluss der Juli-Versammlung, vor der Auflösung das Vermögen aufzubrauchen, abgesehen von den drei Spenden.
TV und der letzte JDQ-Präsident relativieren
Der aktuell im Ausland weilende Präsident des TVE, Andreas Wettstein, schreibt dazu: «Das ehemalige Jodler-Doppelquartett war eine eigenständige Untersektion mit eigenem Vorstand. Der Turnverein hatte somit weder ein Stimmrecht noch sonstige Rechte, die über die Statuten hinausgingen. Wofür das Geld ausgegeben wurde, ist Sache des JDQ und dessen Mitglieder; sofern das Geld bis zur Schluss-GV aufgebraucht wurde. Für die Korrektheit sind da die Mitglieder, der Vorstand und die Revisoren des JDQ zuständig.» Dass zumindest kommunikativ nicht alles sauber gelaufen sei, weist auch er nicht von der Hand. Ebenso findet er den zwischenmenschlichen Umgang mit den einzelnen Mitgliedern und deren Interessen nicht über alle Zweifel erhaben.
In einer ähnlich deeskalierenden Richtung äussert sich der letzte Präsident des Jodler-Doppelquartetts, René Merinero: «Es verlief alles in korrekten Bahnen. An der Juli-Versammlung wurde beschlossen, drei Kinderchöre zu unterstützen. Von einem vierten Chor, der berücksichtigt werden sollte, war zu diesem Zeitpunkt keine Rede. So wurde vereinbart, die eine Hälfte des Vereinsvermögens an die drei Kinderchöre zu spenden, die andere bis zur Auflösung mit monatlichen Treffen aufzubrauchen. An der Auflösungs-Versammlung im Dezember meldete sich dann Ueli Reber und wünschte, dass ein vierter Chor ebenfalls Geld erhalten sollte, weil dieser 2009 gemeinsam mit dem JDQ gesungen hatte – an diesen Chor konnte sich jedoch niemand, ausser Reber, erinnern.» Das eigentliche Problem aber sei gewesen, dass der Antrag viel zu spät eingereicht wurde, und deshalb nicht mehr berücksichtigt werden konnte. «Hätte Reber das Traktandum im Juli eingebracht, wäre es keine Diskussion gewesen, diese Kinder ebenfalls zu unterstützen.» Mitte Januar hat Merinero in einem umfassenden Schreiben an Reber auf dessen Vorwürfe einzeln Stellung genommen. Der Brief liegt der «Elgger/Aadorfer Zeitung» ebenfalls vor. Als einzige wirkliche Unrechtmässigkeit in der gesamten Angelegenheit nennt Merinero die Tatsache, dass nach der Auflösung des Vereins bei der Rothenturmer Firma Schuler Uniformen AG noch neuer Stoff im Wert von über 3000 Franken zum Vorschein kam. Diesen hat Reber nach Auskunft einer dortigen Mitarbeiterin abgeholt. Eine Behauptung, die Reber bestätigt: «Nach der Auflösung holte ich den Stoff bei Schuler, mit dem Kaufvertrag und nach Voranmeldung. Der Stoff war bereits vorgängig bezahlt worden und ist Eigentum des Turnvereins. Mit dem TVE habe ich sofort danach Kontakt aufgenommen; geplant ist eine Vereinbarung über die Verwendung, der Erlös geht selbstverständlich und vollumfänglich an den TVE.» Zum Schluss begründete Reber der Schreibenden noch mit Nachdruck sein Engagement für die beiden Vereine: «Mein Vater war schon Mitglied beim TVE und im JDQ. Beide waren immer Teil meines Lebens, weshalb mir die ganze Sache so am Herzen liegt.»
Am Ende bleibt also ein Stück Stoff für eine Geschichte, wie sie eben nur das Leben schreiben kann.
MARIANNE BURGENER