Die Geburtsstunde der Wiedertaufe und ihr Geburtsort
04.03.2025 Region3.Teil
In Zürich eskaliert zur Reformationszeit der Streit zwischen Radikalen und Gemässigten um die Taufen. Die Radikalen, «Täufer« oder auch «Wiedertäufer« genannt, fordern anstatt der üblichen Kindertaufe die ...
3.Teil
In Zürich eskaliert zur Reformationszeit der Streit zwischen Radikalen und Gemässigten um die Taufen. Die Radikalen, «Täufer« oder auch «Wiedertäufer« genannt, fordern anstatt der üblichen Kindertaufe die Erwachsenentaufe!
Die Gemässigten, zu denen Zwingli gehört, bleiben bei der Kindertaufe. Der Rat von Zürich lädt zu Disputationen über die strittige Tauffrage, wo sich die Vertreter der Erwachsenentaufe und die Befürworter der Kindertaufe gegenüberstehen.
Der Rat von Zürich gebietet, verbietet und befürchtet
Am 18. Januar 1525 erlässt der Rat von Zürich ein Mandat, das alle Verweigerer der Kindertaufe unter Androhung des Landesverweises dazu auffordert, ihre bisher ungetauft gelassenen Neugeborenen innert acht Tagen taufen zu lassen. Wörtlich: «Und welcher das nicht wollte tun, der soll mit Weib und seinem Gut unserer Herren Stadt, Gericht und Gebiet räumen.» Innert acht Tagen werden des Landes verwiesen: Wilhelm Reubli, Pfarrer in Witikon, Johannes Brötli, Helfer in Zollikon, Ludwig Hätzer, Kaplan aus Bischofszell und ‹Andres uff der Stültzen› (Andreas Castelberger auf Stelzen, Gehhilfen), Buchhändler und Leiter eines Bibelkreises mit Aussprachen zum Römerbrief. Wegen Erkrankung wird seine Wegweisung aufgeschoben. Zu den führenden Täufern gehören auch Konrad Grebel und Felix Mantz, Jörg Cajacob von Bonaduz, genannt Blaurock und Simon Stumpf, Pfarrer in Höngg. Am 1. Februar gebietet der Rat die Kindertaufe in der Kirche und verbietet die Haustaufe, ausser im Falle schwerer Krankheit des Täuflings. Diese Massnahmen der Obrigkeit mögen zwar die Zunahme der täuferischen Gemeinschaften äusserlich hemmen, bestärken diese aber wohl eher in ihrer heiligen Mission.
Für weitere Mandate sieht der Rat gute Gründe. Es wagen sich nämlich in Zürich nicht nur Oppositionelle hervor, die die Kindertaufe ablehnen, sondern auch solche, die sich damit befassen, der Obrigkeit den Gehorsam zu verweigern und sich deren Aufsicht zu entziehen. Die Regierung sieht aber vor allem in den Täufern eine existentielle Gefahr, da sie die Kindertaufe ablehnen, sich abseits der Kirchen in eigenen privaten Versammlungen und Zirkeln zu Bibelstudium, Aussprachen und Abmachungen treffen, die Staatsleitung infrage stellen, den Eid und den Wehrdienst ablehnen, Zins und Zehnten diskutieren. Der Rat befürchtet eine existentielle Gefahr für das gesellschaftliche, staatliche und kirchliche Gefüge. Er hält das christliche Zusammenleben, den Zusammenhalt, den christlichen Körper, das «Corpus christianum» als bedroht.
Vergeblich hatte der Täuferführer Felix Manz mit einer «Schutzschrift» gegen die entscheidende Disputation protestiert. Er selbst sei zwar ein Gegner der Kindertaufe. Unbegreiflich erscheine ihm jedoch der Vorwurf, Aufruhr zu stiften. Seine Taufauffassung sei keine Gefahr für die öffentliche Ordnung. Der Rat von Zürich und Zwingli, der massgebliche Sprecher der Reformierten, waren darin aber gleicher Meinung: Die Zirkel der Täufer sind nichttolerierbare, revolutionäre, umstürzlerische Absonderungen.
Der heimliche Schritt zur Wiedertaufe an der Neugasse im Hause Manz
Nun können sich die Anhänger der Erwachsenentaufe und Gegner der Kindertaufe die Niederlage beim Rat der Stadt nicht verwinden und wollen sich dem Beschluss der Behörde auch nicht fügen. Die Gemassregelten reagieren mit einem folgenreichen Schritt in der Stadt Zürich, bald in der Landschaft und schliesslich über die Grenzen hinaus. Sie beeinflussen mit ihrer Taufauffassung und den damit verbundenen politischen Auswirkungen sogar den Lauf der Kirchengeschichte weltweit.
Am 21. Januar 1525 versammeln sich heimlich führende Angehörige eines Täuferkreises, vermutlich im Hause der Mutter von Felix Mantz an der Neugasse beim Grossmünster in Zürich. Dort tauft der Täuferanführer Konrad Grebel den Bündner Jörg Cajacob von Bonaduz, genannt Blaurock. Dieser tauft anschliessend andere Versammelte. Alle diese Männer waren als Säuglinge nach katholischem Ritus getauft worden. Aber diese Art von Taufe gilt ihnen als unbiblisch und wird als wirkungslos abgelehnt. Denn die Taufe setzt nach Konrad Grebel und Felix Mantz Glauben und Bereitschaft zur Nachfolge voraus. Darum werden diese ersten Taufen wiederholt. Es waren demnach «Wiedertaufen». Daher kommt die Bezeichnung «Wiedertäufer» («Anabaptisten»). Und diese «Wiedertäufer« genannten tragen von jetzt an den Kampf vor die Tore der Stadt, auf das Land und pflegen schliesslich sogar Kontakte mit Gesinnungsfreunden über die Landesgrenzen hinaus.
Der Täuferforscher Fritz Blanke nutzt zur Klärung des Ortes und der Zeit der ersten Wiedertaufe Zwinglis Werk «Elenchus» (Widerlegung der Ränke der Wiedertäufer). Darin berichtet der Reformator, dass der Zürcher Rat am 17. Januar 1525 in Zürich ein Gespräch mit den Gegnern der Kindertaufe veranstaltet habe. Und dass die meisten von diesen versprochen hätten, dass sie nichts unternehmen wollten. (Eine Wiedertaufe war bis dahin noch nicht vorgekommen.)
Dann fährt Zwingli weiter: «Nach drei oder höchstens vier Tagen wird gemeldet, dass die, welche die Koryphäen dieser Sekte waren, fünfzehn Brüder benetzt haben.» Die Taufe dieser fünfzehn Brüder ist die erste Wiedertaufe, von der Zwingli Kunde erhalten hat.
Aber ist es die früheste Wiedertaufe überhaupt? Zwingli unterscheidet ja zwischen den fünfzehn Brüdern, die getauft wurden und denen, die sie tauften (den «Koryphäen», worunter er Konrad Grebel, Felix Manz, Jörg Blaurock, Johannes Brötli versteht). Es liegt nach Blanke auf der Hand, dass die «Koryphäen», bevor sie mit dem Taufen begannen, die Wiedertaufe schon selber empfangen hatten. Der Taufe der fünfzehn Brüder muss also diejenige der «Koryphäen« vorangegangen sein. Die Namen der fünfzehn Brüder sind bekannt; es sind ausschliesslich Namen von Bauern aus Zollikon. Die Wiedertaufe hat erwiesenermassen in Zollikon stattgefunden.
Die Taufe der «Koryphäen» im «Geschicht-Buch der Hutterischen Brüder»
Wo aber wurden Grebel, Manz, Blaurock und Brötli getauft? Die Wiedertaufe dieser Führer muss in grösster Heimlichkeit geschehen sein; denn Zwingli berichtet nirgends etwas darüber; offenbar hatte er nie etwas in Erfahrung bringen können. Auch die Zürcher Verhörsakten sind in diesem Punkte unergiebig. Wir vernehmen einzig aus einem Verhörsprotokoll vom 18. Februar 1525, dass Blaurock gestand, er sei der erste gewesen, der sich habe taufen lassen. Wo sich diese Taufe abspielte, wird nicht bemerkt.
Aber das Geständnis Blaurocks wird durch einen späteren, von täuferischer Seite stammenden Bericht bestätigt. Im «Geschicht-Buch der Hutterischen Brüder» wird – nach Blanke- der Hergang der ersten Wiedertaufe beschrieben: «Die Zürcher Brüder waren in angstvoller Stunde beieinander und beteten; nach dem Gebet erhob sich Jörg Blaurock und drang in Grebel, dass er ihn taufen möge; Grebel willfahrte dem Wunsch und taufte Blaurock; daraufhin taufte Blaurock seinerseits sofort die anderen Männer, die in der Versammlung anwesend waren. Dieser Bericht, um 1534 niedergeschrieben, geht nach Blanke wohl auf Aussagen Blaurocks selber zurück und darf als glaubwürdig gelten, zumal die Hauptsache (Blaurock der erste Wiedergetaufte!) mit dem Verhör vom 18. Februar zusammenstimmt. Die Frage, wo diese Erstwiedertaufe zu suchen ist, wird in der Erzählung des «Geschicht-Buches» nicht beantwortet. Es ist aber nach Blanke am ehesten an das Haus von Felix Manz in Zürich zu denken. Man weiss, dass dieses Haus schon vor 1525 als Treffort der Kindertaufgegner gedient hatte. Beispielsweise wurde ein Gabriel Giger aus St. Gallen im Januar 1525 durch Grebel in Felix Manzens Haus in Zürich getauft. Das Manzhaus ist dabei als Taufstätte ausdrücklich bezeugt, nicht als Stätte der Taufe Blaurocks durch Grebel, sondern Gigers durch Grebel. Aber es ist naheliegend, dass Grebel am gleichen Orte schon vorher an Blaurock die Wiedertaufe vorgenommen hatte.
Der Zeitpunkt der Taufe Blaurocks ist unbekannt. Er lässt sich nach Blanke aber einigermassen festlegen: Der Helfer Wilhelm Brötli aus Zollikon hatte schon am Sonntag, dem 22. Januar 1525, einen Zolliker Bauern getauft. Also muss Brötli selber, eine der «Koryphäen» (nach Zwingli), schon vorher (wohl zu gleicher Zeit wie Blaurock) die Wiedertaufe erhalten haben. Der Terminus, post quem diese erfolgt sein kann, ist entweder der 17. Januar 1525 (erfolgloses Gespräch des Rates mit Grebel und Genossen) oder der 18. Januar (Ratsbeschluss, der die Säuglingstaufe befiehlt) oder am ehesten der 21. Januar, an welchem Tage die Versammlungen der Taufgegner verboten wurden, Grebel und Mantz vom Rat ein Redeverbot bekamen und Röubli, Brötli, Haetzer, Castelberger mit Landesverweisung bestraft wurden. Jetzt am 21.Januar, wussten die Brüder endgültig, dass es aussichtslos sein werde, Zwingli und die Zürcher Obrigkeit für den Plan einer Freikirche zu gewinnen. Daher traten die führenden Brüder (die «Koryphäen») mutmasslich am Abend dieses Tages im Hause Manzens mit schweren Sorgen zusammen — in der angsterfüllten Stimmung, die das «Geschicht-Buch» schildert . Und hier geschah es, dass der stürmische Blaurock als erster den Vollzug einer neuen Taufe fordert und durchsetzt.
MARKUS SCHÄR