Die Gastronomie bewegt sich auf dünnem Eis
20.06.2023 RegionDie Brauhaus Sternen AG mit den Standorten Frauenfeld und Winterthur musste den Aktionären ein Defizit von fast einer halben Million verkünden. Mitinhaber und Geschäftsleiter ist der Aadorfer Vizegemeindepräsident Stefan Mühlemann. Er nimmt Stellung zur Situation ...
Die Brauhaus Sternen AG mit den Standorten Frauenfeld und Winterthur musste den Aktionären ein Defizit von fast einer halben Million verkünden. Mitinhaber und Geschäftsleiter ist der Aadorfer Vizegemeindepräsident Stefan Mühlemann. Er nimmt Stellung zur Situation des Brauhauses und der Gastronomie im Allgemeinen.
Die Gastronomie macht seit der Coronakrise schwierige Zeiten durch. Die Konkurse häufen sich, Personal ist Mangelware und das Verhalten der Kundschaft veränderte sich. Davon kann auch der Aadorfer Vizegemeindepräsident und SVP-Kantonsrat Stefan Mühlemann, Geschäftsleiter und Mitinhaber der Brauhaus Sternen AG, ein Liedchen singen. Er nahm sich die Zeit für ein ausführliches Interview:
STEFAN MÜHLEMANN, WAS WAREN DIE WICHTIGSTEN ECKPFEILER IM BETRIEBSJAHR 2022 DER BRAUHAUS STERNEN AG AUS IHRER SICHT ALS GESCHÄFTSLEITER?
Zuerst mal freuten wir uns, dass ab April alle Coronamassnahmen aufgehoben wurden und wir wieder «normal» arbeiten konnten. Wir merkten, die Gäste waren froh, wieder kommen zu dürfen. Allerdings mussten wir ebenfalls konstatieren, dass sich das Kundenbedürfnis und Verhalten in den beiden Coronajahren massgeblich änderten. Wir versuchten mit Anpassungen schnell zu reagieren.
SIE SPRECHEN DAS VERHALTEN DER GÄSTE AN?
Ja, wir bemerkten, die Leute begannen sich anders zu organisieren. Das betraf das Morgengeschäft, weshalb wir nun darauf verzichten. Aber auch am Abend: Die Gäste kommen eher früher, gehen aber auch frühzeitiger nach Hause. Auf dieses neue Verhalten versuchten wir mit Anpassung der Öffnungszeiten zu reagieren.
Für uns wichtig waren auch die 2022 getätigten Investitionen – so der Neubau der Küche, Umbau der Räumlichkeiten, Neuverkabelung der Elektrizität sowie eine Brandmeldeanlage. Das geschah mehrheitlich bei laufendem Betrieb. Wir mussten das Geschäft lediglich an zehn Tagen schliessen.
Als dritten Punkt beschäftigte uns die Mitarbeitersituation das ganze Jahr. Wir merkten schon länger, und dann vor allem während Corona, dass sich auf dem Markt einiges grundlegend veränderte.
DARAUF GEHEN WIR SPÄTER NOCH GENAUER EIN. BLEIBEN WIR BEI DER ZWISCHENZEITLICHEN SCHLIESSUNG. ES WURDE GESCHRIEBEN, DASS DIE BRAUHAUS STERNEN AG EIN BETRIEBSDEFIZIT VON KNAPP EINER HALBEN MILLION HINNEHMEN MUSSTE. WAR DAFÜR DIE SCHLIESSUNG MITVERANTWORTLICH?
Natürlich, wir generierten in dieser Zeit keinen Umsatz. Das kann in einer guten Woche über 50’000 Franken ausmachen und die Löhne bezahlt man trotzdem. Die verkürzten Öffnungszeiten und die reduzierte Platzkapazität trugen ebenfalls das ihrige dazu bei. Um die Kosten im Griff zu halten, braucht es halt einen gewissen Grundstock an Umsatz. Die Reduktionsmöglichkeiten auf der Kostenseite sind irgendwann ausgeschöpft.
Das Problem von Inflation und Preiserhöhungen
EIN WEITERER GRUND FÜR DAS DEFIZIT DÜRFTEN DIE PREISSTEIGERUNGEN SEIN. DIE KÖNNT IHR VERMUTLICH NICHT EINS ZU EINS AUF DIE KUNDSCHAFT ABWÄLZEN …
… Absolut nicht. Die Preise für die Rohstoffe explodierten. Malz stieg um die 80 Prozent, Gläser um deren 100. Bei den Lebensmitteln wissen wir alle wie es aussieht, beim Öl ging der Preis massiv rauf, sodass wir letztes Jahr teilweise fast das Doppelte bezahlten. Des Weiteren passten wir die Löhne für alle Mitarbeitenden an und die Preise für Strom, Wasser und Gas wurden deutlich erhöht.
DIE PREISERHÖHUNGEN WERDEN IN ANDEREN BRANCHEN VOLL AN DIE KUNDSCHAFT WEITERGEGEBEN ODER SOGAR NOCH SCHAMLOS MARGEN ERHÖHT. DAS DÜRFTE IN DER GASTRONOMIE NICHT GEHEN, WEIL SONST DIE GÄSTE FERNBLEIBEN?
Das ist unser Dilemma. Wir müssten eigentlich die Preissteigerungen im Einkauf auch auf die Gäste abwälzen. Diese sind aber sehr preissensitiv, weshalb das nur marginal möglich ist. Man ist schnell an der Grenze, wo der Kunde nicht mehr bereit ist, das zu berappen.
DIE INFLATION LÄSST ZUSÄTZLICH GRÜSSEN. DIE BEVÖLKERUNG SPART DORT EIN, WO ES AM WENIGSTEN WEH TUT UND DAS IST HALT SCHNELL EINMAL DER RESTAURANTBESUCH. DIE GASTRONOMIE HAT ALSO GAR KEINE GROSSE HANDHABE … … Das ist korrekt. Es ist jedenfalls sehr schwierig. Hinzu kommt hierbei der fehlende Gleichschritt in der Gastroszene. Wenn alle die Preise gleich erhöhen, könnte das noch funktionieren. Aber oft passiert dann das Gegenteil und einzelne Gastronomen senken extra die Preise, um Kundschaft anzulocken.
WIE SEHEN SIE DIE ZUKUNFTSPERSPEKTIVE DES BRAUHAUSES AUS WIRTSCHAFTLICHER SICHT? PREISERHÖHUNGEN SIND NUR MINIM MÖGLICH. GIBT ES ALTERNATIVEN?
Es gibt verschiedene Massnahmen, die unumgänglich sind. Mehrere Jahre können wir nicht einen solchen Verlust einspielen …
… WOBEI IMMERHIN EUER EIGENKAPITAL SOLIDE IST.
Ja, wir beantragten eine Kapitalerhöhung, die angenommen wurde. Es ist aber nicht die Idee, das zu verbraten, sondern zu investieren. Im Mai konnten wir bei gewissen Produkten eine leichte Preisanpassung vornehmen. Zum anderen sind wir mit Lieferanten in Preisverhandlungen, schauen uns auch nach alternativen, günstigeren Produkten um, ohne dass die Qualität darunter leidet. Eine weitere Optimierung der Einsatzzeiten der Mitarbeitenden wird angestrebt, sodass sie dann im Einsatz sind, wenn auch die Umsätze generiert werden. Anpassung der Öffnungszeiten ist immer noch ein Thema sowie eine effektivere Synergienutzung mit den beiden Bertrieben in Frauenfeld und Winterthur. Und natürlich die Senkung der Kosten bis in den kleinsten Bereich. Eine Reduktion der Mittagskarte wurde vorgenommen, was weniger Foodwaste produziert. Sollte das alles nicht den gewünschten Effekt bringen, müssten gröbere Geschichten angegangen werden, wie die Überarbeitung des Konzepts. Ich spreche da beispielsweise von Teilselbstservice, da die Personalkosten fast 50 Prozent gegenüber dem Umsatz ausmachen.
Personal fehlt an allen Ecken und Enden
KOMMEN WIR ZUR SCHWIERIGEN PERSONALSITUATION. AUFHORCHEN LIESS IHRE AUSSAGE IN DER «THURGAUER ZEITUNG», AUF ZAHLREICHE INSERATE KEINE EINZIGE BEWERBUNG ERHALTEN ZU HABEN. DAS BUNDESAMT FÜR STATISTIK PUBLIZIERTE LETZTEN SOMMER, DASS IN DER GASTRONOMIE WEGEN DER CORONA-KRISE ÜBER 15’000 STELLEN VERLORENGINGEN. WIRD UNS DAS BIER BALD NUR NOCH DURCH ROBOTER SERVIERT?
Ich hoffe es nicht. Wenn der Gast ins Restaurant geht, will er den Aufenthalt doch geniessen und sich von Menschen bedienen lassen. Es wird aber Einschnitte geben. Ein Teil wird gutbürgerlich gepflegte Gastronomie mit humaner Bedienung weiterhin anbieten, der andere in die entgegengesetzte Richtung gehen. Das Ziel als Gesamtgastronomie muss sein, zu schauen, wie wir die Jobs attraktiver gestalten und die Mitarbeitenden unterstützen können. Bestrebungen gibt es in Richtung Viertagewoche, was aber mit bestehenden Konzepten nicht einfach umzusetzen sein wird. Lösungen müssen dennoch her, sonst spitzt sich die Situation weiter zu.
IN DIE KARTEN KÖNNTEN DIE RESTAURANTSCHLIESSUNGEN SPIELEN. 2022 GAB ES IN DER SCHWEIZER GASTROSZENE ERSTMALS MEHR KONKURSE ALS NEUGRÜNDUNGEN. MAN FÜHRT DAS AUF EINE VERZÖGERTE REAKTION WEGEN STAATSHILFEN IN DER CORONA-KRISE. KÖNNTE EINE GEWISSE «BEREINIGUNG» IN DIESER HINSICHT AUCH EINE CHANCE SEIN?
Das denke ich, ja. Ich bin überzeugt, dass es die nächsten zwei bis drei Jahren eine Bereinigung geben wird. Es gibt viele Betriebe, die stark am Anschlag sind. In den nächsten Jahren dürften zudem viele kleine, durch Patrons geführte Lokale aufhören, da eine Nachfolgeregelung fehlt. Sechs Tage von morgens um 8 Uhr bis Mitternacht zu arbeiten, ist heute nicht mehr das, was gesucht wird.
KOMMEN WIR NOCHMALS AUF DIE BRAUHAUS STERNEN AG MIT DEN BEIDEN STANDORTEN ZURÜCK. WAS SIND DIE PLÄNE?
Es gibt zwei Schwerpunkte. Der eine ist, den Betrieb in Winterthur wieder auf Kurs zu bringen. Dort mussten wir mangels Mitarbeitenden die Öffnungszeiten massiv kürzen. Vielleicht müsste man auch diskutieren, ob man dort von sieben offenen Tagen auf fünf reduzieren will. Für Frauenfeld wurde eine Art Masterplan erarbeitet, um weitere anstehende Investitionen zu tätigen. Dann wären gewisse Sanierungen an den Immobilien nötig – Thema Dach und Fassaden. Photovoltaik steht wegen des hohen Strombedarfs zur Diskussion. Im Innenbereich müssen Buffet- und Baranlagen in den nächsten Jahren ersetzt werden. In einem weiteren Schritt eventuell auch die Erneuerung und Vergrösserung der Brauanlagen.
TEXT UND INTERVIEW: RENÉ FISCHER