Die Freundschaft, die aus Trümmern wuchs
31.07.2025 ElggWenigzell lag in Trümmern, Elgg half. Eine aussergewöhnliche Verbindung nahm ihren Anfang: Vor bald 80 Jahren schickte das Zürcher Landstädtchen Hilfsgüter in die Oststeiermark. Die Geschichte dahinter führt in die Wirren der Tage nach Kriegsende und zu einem Elgger ...
Wenigzell lag in Trümmern, Elgg half. Eine aussergewöhnliche Verbindung nahm ihren Anfang: Vor bald 80 Jahren schickte das Zürcher Landstädtchen Hilfsgüter in die Oststeiermark. Die Geschichte dahinter führt in die Wirren der Tage nach Kriegsende und zu einem Elgger Ehepaar, das vorbeikam.
Die Städtepartnerschaft zwischen dem Landstädtchen und dem schönen Wenigzell in der Oststeiermark nahm ihren Anfang etwa ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In den letzten Kriegstagen war das Dorf zwischen die Fronten geraten und wurde von deutschen und russischen Truppen hart umkämpft. Zurück blieben grosse Zerstörung und eine hungernde, verzweifelte Bevölkerung, die sich fragte, ob es an diesem Ort überhaupt noch eine Zukunft geben könne.
Das Wenige, das vorhanden war, wurde geteilt. Man schlief in Kellern oder in notdürftig gezimmerten Hütten auf dem nackten Boden. Und doch beschlossen die Überlebenden, ihre Heimat aufzubauen.
«Die Wenigzeller arbeiteten, sie gruben, sortierten und bauten. Die Einwohner halfen sich selbst. Eine erste namhafte Hilfe gab es von Seiten der Caritas. Bald wurden auch ein kleiner Nachkriegsladen und eine Ausspeisung für die Arbeiter errichtet. Es folgte schliesslich die erste Ernte und von der Bezirkshauptmannschaft Weiz bekam der Bürgermeister vier Monate nach Ende des Krieges Lebensmittelmarken für die gesamte Bevölkerung und schon bald standen die ersten Nahrungsmittel bereit», ist auf der Gemeindewebseite nachzulesen. Detaillierter berichtete die «Wochenschau» im Dezember 1960 über die schreckliche Zeit, in der sich im Ort plötzlich russische und deutsche Soldaten gegenüberstanden und über die verheerenden Folgen für die Bevölkerung: Tod, Zerstörung und das mühsame Überleben in den Monaten danach.
Eintreffende Hilfe und zurückkehrende Hoffnung
Wie es dazu kam, dass grosse Sachspenden aus Elgg den Weg ins 520 Kilometer (Luftlinie) entfernte Wenigzell fanden, lässt sich nicht mehr exakt rekonstruieren. Sicher ist jedoch die grosse Solidarität, die der Hilferuf – vermutlich jenes österreichischen Pfarrers, der sich in Richtung Westen aufgemacht haben soll, um Hilfe zu holen – auslöste.
Die Wenigzeller Webseite beschreibt es so: «Das war unter anderem auch der Schweizer Patengemeinde Elgg zu verdanken, die im Rahmen der ‹Schweizer Spende› komplette Zimmereinrichtungen, Medikamente, Lebensmittel und Kleider nach Wenigzell schickte und den Wiederaufbau damit tatkräftig unterstützt hat. Sogar Schuleinrichtungen oder Gerätschaften für den Ackerbau und die tägliche Arbeit auf dem Hof wurden gespendet. Die Hilfsbereitschaft der Elgger war grenzenlos und ein wunderbarer Beweis für beispielhafte Nächstenliebe.» Zum Dank für dieses selbstlose grosszügige Engagement brachte 1960 die Abgesandte Josefa Tanos ein Fotoalbum nach Elgg. Ein Jahr später wurde im in inzwischen wieder aufgebauten Ort eine Gedenktafel zu Ehren der Zuwendungen aus dem Landstädtchen enthüllt – und besonders ergreifend – bereits vier Jahre nach dem Krieg besuchte eine Elgger Delegation die geschundene Gemeinde. Ihr wurde ein eigens kreiertes Gedicht vorgetragen, das in der Wenigzeller Gemeindechronik nachzulesen ist.
Vater Weier erster Ausländer im zerstörten Dorf
Es war wohl nicht allein der Appell des Pfarrers, der die Unterstützung aus Elgg auslöste – auch zwei Elgger machten sich ein Bild von der Lage vor Ort: die Eltern von Paul Weier. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg reiste der Vater häufig in den Osten, nach Polen und Ungarn, um geeignete Reit- und Wagenpferde für den Handelsstall einzukaufen. Auch kurz nach Kriegsende gehörte er zu den Ersten, die wieder nach Ungarn aufbrachen. Paul Weier erinnert sich: «Mein Vater fuhr unzählige Male mit seinem Chevrolet hin – bis September 1939 nach Polen, danach nur noch nach Ungarn. 1945/1946 fuhr er, sobald es möglich war, wieder los. Warum er in Wenigzell vorbeikam, ist mir nicht bekannt. Ob es Zufall war oder mit dem Aufenthalt des Pfarrers in Elgg zu tun hatte, kann ich nicht sagen.» Sicher sei nur, dass sein Vater und seine Mutter wohl die ersten Ausländer waren, die das Elend im oststeirischen Bergdorf mit eigenen Augen sahen. «Die Russen waren erst kurz weg und haben vor ihrer Abreise noch alles zerstört oder mitgenommen, was nicht bereits dem Erdboden gleich war. «Von dieser ersten Reise brachte meine Mutter Fotos und einen 8-Millimeter-Schwarzweissfilm mit, die sie Bekannten in Elgg zeigte, um das Elend zu dokumentieren. Leider ist der Film aktuell nicht auffindbar», erzählt Paul Weier. Später hätten seine Eltern das Dorf noch einmal besucht, zusammen mit dem befreundeten Elgger Ehepaar Weisstanner. (Vermutlich die in der Wenigzeller Chronik erwähnte Delegation, anlässlich derer das Gedicht geschrieben und vorgelesen wurde).
Begegnungen, die bis heute nachwirken
Paul Weier erinnert sich an die späteren gegenseitigen Besuche, als beispielsweise der damalige Bürgermeister aus Österreich in Elgg zu Gast war und im elterlichen Löwen nächtigte. Er bedauert, nicht richtig mitbekommen zu haben, dass anlässlich des grossen Festes rund um das Jubiläum der Aschermittwochgesellschaft im Mai diesen Jahres eine Delegation aus Wenigzell angereist war: «Sonst hätte ich nämlich den jetzigen Bürgermeister gefragt, was er aus dieser Zeit noch weiss.»
Die Beziehung zwischen den zwei Gemeinden geht aufgrund dieser Geschichte weit über eine übliche Städtepartnerschaft hinaus. Es ist eine tiefe Freundschaft, die – so darf gehofft werden – auch von den kommenden Generationen getragen und gepflegt wird.
Die «Elgger/Aadorfer Zeitung» bedankt sich an dieser Stelle beim Bürgermeister Herbert Berger, bei Silke Almer, Meldeamt und Bürgerservice, sowie bei Paul Weier für die Mithilfe.
MARIANNE BURGENER
Als ringsum niemand Hilfe bot,
Nach harten Kampfestagen,
Erbarmte Elgg sich unsrer Not,
Und schenkte ohne Fragen.
Es reichte helfend seine Hand,
Uns armen Menschenkindern,
Ihr ganzes Volk, Ihr ganzes Land,
Begann, die Not zu lindern.
Wir sahen uns nicht mehr allein,
Ihr gabt uns Brot und Hoffen,
Ihr nahmt von Leib und Seel die Pein,
Der Weg zum Heil war offen.
Wir wissen, dass Sie unbekannt,
Stets unser Wohl bedachten,
und auch als Christen ungenannt,
Die grössten Opfer brachten.
O, bleiben Sie uns allezeit,
In Freundschaft treu verbunden,
Dann heilen auch vom Fluch befreit,
Die letzten schweren Wunden.
Wir legen Ihnen alle heut,
Den wärmsten Dank zu Füssen,
Und bitten Sie auch Land und Leut,
Der Schweiz von uns zu grüssen.
Quelle: Gemeindechronik Wenigzell, Pfarrchronik, 1961