Die Freude am Radsport ist immer noch da
12.02.2022 AadorfLukas Rutishauser und Matthias Studer bestritten jahrelang Radsport auf hohem Niveau. Nun erzählen die beiden, warum sie ab und zu immer noch ein Rennen bestreiten und sprechen über ihre berufliche Laufbahn.
Matthias Studer bestritt im zarten Alter von vier Jahren sein erstes Bikerennen. Im Biketeam Aadorf wurde er gross und feierte viele ErfolgE. Etwas später begann die Laufbahn von Lukas Rutishauser, welcher in der Radsportschule Elgg-Aadorf viel lernte und später für den Rad- und Motorradverein (RMV) Elgg Radrennen bestritt.
Vize-Schweizermeistertitel
Rutishauser erzählt, dass er im Alter von 13 Jahren mit dem Radrennsport begann. Zuerst absolvierte er die Radsportschule in Elgg: «Bruno Wolfer und Godi Schmutz brachten uns das ABC des Radsports bei.» Als grössten Erfolg in seiner Karriere bezeichnet Rutishauser den Vize-Schweizermeistertitel in der Kategorie U19. Danach folgten vier Jahre in der Kategorie U23. Er sagt: «Eine coole Zeit, es lief Matthias und mir sehr gut und so machte es doppelt Spass, zusammen Rennen zu fahren. Auch jene im Ausland waren toll. Es lief einfach rund.»
Das letzte Jahr bestritten er und Studer im Team von Roberto Marchetti. «Auch wenn nicht immer alles klappte, machte es trotzdem Freude und wir sammelten tolle Erfahrungen – auch innerhalb des Teams. Nun sind die Zeiten definitiv vorbei, wo man mitten in der Nacht von einem Rennen nach Hause kommt und am anderen Morgen wieder zur Arbeit gehen muss. Auch die stundenlangen Autofahrten von Rennen zu Rennen vermisse ich nicht», sagt Rutishauser. Im Jahr 2017 beendete der in Wittenwil Aufgewachsene seine Karriere, da er den Zivildienst absolvieren musste. Und dann «sollte man ja auch noch irgendwann Geld verdienen. Heute betreue ich beeinträchtigte Menschen in einer Werkstatt in Urdorf».
Coole Truppe
Matthias Studer erinnert sich an sein allererstes Rennen: «Ich fuhr am Anfang Bikerennen, im zweiten Jahr U15 kam ich in die Radsportschule Elgg-Aadorf. Immer öfter war ich mit dem Rennvelo unterwegs. Beide Sportarten zusammen auszuüben, ist relativ schwierig. Und so entschied ich mich für das Rennrad.» Sowohl er wie auch Lukas Rutishauser bezeichnen die Zeit in der Radsportschule Elgg und die darauffolgenden Kategorien als prägend; mit der «coolen Truppe» jahrelang Wochenende für Wochenende unterwegs zu sein. «Das war für mich schon ausschlaggebend, mich dem Radrennsport zu widmen», sagt Studer. Und seither sind die beiden auch viel gemeinsam unterwegs.
Pfeiffersches Drüsenfieber
Matthias Studer lernte Zweiradmechaniker. In dieser Zeit versuchte er, Sport und Lehre unter einen Hut zu bringen. Nach der Lehre arbeitete er Teilzeit, um sich vermehrt dem Sport zu widmen. Die Zeit in der Kategorie U23 sieht der Aadorfer als HöHepunkt seiner Karriere: «Es ist schon toll, wenn du immer vorne mitfahren kannst. Die Saison vor dem Aufstieg in die Elite-Kategorie war echt cool, auch zusammen mit Lukas. Wir bestritten zusammen Trainingslager auf Teneriffa. Auch die ganze Saison lief gut und ich freute mich auf die Rennen. Ich war im Flow. Es war auch toll, wenn ein Radprofi, wie beispielsweise silvan Dillier, am Start stand. Das war echt super, mich mit den Profis zu messen.» Er schaffte die Qualifikation in die Kategorie Elite. Das pfeiffersche Drüsenfieber wurde ihm jedoch zum Verhängnis: «Die Krankheit hatte zur Folge, dass ich mein Können nie richtig umsetzen konnte. Ich fuhr mit angezogener Handbremse, wurde teils richtig ‹parkiert› und bereits nach kurzer Zeit aus dem Feld abgehängt. Es ist nicht gerade motivierend, von Rennfahrern abgehängt zu werden, die du in guten Zeiten fast rückwärts überholt hättest. Ich kurierte die KranKheit nie richtig aus und es bereitete mir unter diesen Umständen keine Freude mehr, Radrennen zu bestreiten.»
Weiterbildung zum Arbeitsagogen
Durch den Zivildienst kam Lukas Rutishauser zu seinem heutigen Beruf. Er absolvierte den Dienst und anschliessend ein Praktikum mit Menschen mit einer Beeinträchtigung. Nun steht er im letzten Jahr der Ausbildung zum Arbeitsagogen. Sie dauert zweieinhalb Jahre und wird berufsbegleitend absolviert. «In dieser Branche werde ich weiterhin arbeiten. Vorher lebte ich in einer sportlichen Bubble und ohne den Zivildienst hätte ich nicht zu meinem Beruf gefunden. Die Arbeit mit Leuten brachte mich weiter und es ist inzwischen eine grosse Leidenschaft, mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten. Die meisten davon haben ein körperliches oder kognitives Defizit. Sie zeigen Freude an kleinen Dingen und geben viel zurück. Man überlegt sich dann selbst wieder, dass man eigentlich mehr Freude an kleinen Dingen haben sollte. Das geht uns oft verloren», erklärt der Wittenwiler. Zum Ausgleich und Kopflüften fährt rutishauser regelmässig mit dem RennRad. Vor allem am Anfang musste er sich daran gewöhnen, den ganzen Tag drinnen zu arbeiten.
Weiterbildung zum Betriebsleiter
Nach dem Rücktritt vom Radsport arbeitete Matthias Studer weiterhin als Velomechaniker. Er sagt: «Die ersten zwei, drei Monate sass ich nicht mehr auf dem Velo. Doch dann packte es mich schnell wieder. Mit Sandro, der den Bikeshop in Aadorf führt und mein Arbeitgeber war, fuhr ich wieder Rad.» Danach absolvierte der Aadorfer den Zivildienst. Heute arbeitet er in Feuerthalen als Velomechaniker und ist wieder mehr mit dem Rennrad unterwegs.
Berufsbegleitend besucht Studer die Betriebsleiterschule, die zwei Jahre dauert. Dies ist die höchste fachliche Ausbildung. «Ich habe im Hinterkopf, in weiterer Zukunft Berufsschullehrer zu werden. Dafür benötige ich diese Ausbildung. Ich möchte den Jugendlichen die Freude und den Stolz am Beruf weitergeben», sagt er.
Dank Studer wieder zum Radsport gefunden
Nach dem Karrierenende sass Lukas Rutishauser fast ein Jahr lang nicht mehr auf dem Rennrad. Er führt aus: «Den Abstand brauchte ich. Irgendwann nahm mich Matthias Studer mit auf eine Ausfahrt und die Freude am RadpoRt kam wieder.» Je nachdem, wie viel die beiden trainieren, bestreiten sie ab und zu ein Rennen. Studer: «Heute können wir je nach Lust und Laune ausfahren. Früher mussten wir bei Wind und Wetter, auch wenn wir keine Lust hatten, diszipliniert trainieren. Wir mussten einfach. Und diese Disziplin brachte uns in Job und Leben weiter.»
Im letzten Jahr bezwangen die beiden Freunde mit den Rennrädern den Stelvio-Pass. Das gemeinsame Erlebnis habe Spass gemacht. Es sei kein Müssen, sondern ein Highlight gewesen. Und dank ihrer Fitness hätten sie gewusst, dass sie nicht in der Hälfte des Anstiegs aufgeben mussten. Auch das Bergrennen Chur-Arosa bestritten beide zusammen, einfach so als «Tagesausflug». Und am Engadiner Radmarathon entstand wieder, wie in jedem Wettkampf, das Rennen im Rennen. Man merke nicht gross, dass man eines bestreite. Wenn man die richtige Gruppe erwische, bereite es laut den beiden einfach Freude, zusammen zu fahren. Der Rang sei nicht relevant.
Rennfeeling bei den Hobbyrennen
Den Ehrgeiz verliert man nicht, wenn man mal Spitzensportler war. Dazu Lukas Rutishauser: «Heute bestreite ich ab und zu ein Hobbyrennen – sicher nicht mehr so verbissen, aber immer noch mit Ehrgeiz. Man bereitet sich wie gelernt vor, nimmt das Ganze aber doch ein bisschen lockerer. Im letzten Jahr arbeitete ich für ein halbes Jahr nochmals mit einem Trainer zusammen, eher als Experiment. In dieser Zeit, vom Frühjahr bis in den Sommer, trainierte ich fünfmal die Woche. Im Winter hingegen eher nach Lust und Laune. Ich werde in diesem Frühjahr wahrscheinlich wieder vier- bis fünfmal pro Woche auf dem Rennrad sitzen. Sicher nicht mehr so strukturiert, sondern einfach, weil es Spass macht.»
Matthias Studer kam im letzten Jahr auf beträchtliche 14’000 Kilometer auf dem Rennrad, nicht zuletzt dank einem Arbeitsweg von 60 Kilometern täglich, der auch mal ausgedehnt wird. Bei Rutishauser waren es in der vergangenen Saison knapp 9000 Kilometer.
Das Radquer der Hobbyfahrer Anfang dieses Jahres in Meilen bestritten beide: Studer gewann, Rutishauser belegte den 3. Rang. Mit den Weiterbildungen liege nicht mehr drin. Und es sei nicht das, was sie suchten. Die Zeiten, zu denen sie an jedem Wochenende Rennen bestritten, seien definitiv vorbei. Beide bezeichnen das Rennfeeling als cool, wieder einmal zwischen den Zuschauern durchzufahren, mal einen Ellbogen auszufahren und sich auszupowern.
«Nove Colli» als Saisonziel
Angesagt sind bei Studer und Rutishauser ein paar Radquer- sowie einige Hobbystrassenrennen. Als Saisonhöhepunkt gilt das am 22. Mai in Italien stattfindende Radrennen Nove Colli in der Nähe von Cesenatico. Das Rennen führt über neun Berge und 205 Kilometer, davon deren 89 mit Aufstiegen. Der steilste Berg hat ein Gefälle von 18 Prozent. Rund 11’000 Radrennfahrer, grösstenteils aus Italien, jedoch auch aus der Schweiz, Deutschland und Österreich, werden das Rennen bestreiten.
Matthias Studer erzählt begeistert von seiner ersten Teilnahme im letzten Mai: «Es ist wirklich ein cooles Rennen. Man verbindet es mit ein paar Tagen Ferien, fährt eine Runde, geht einen Kaffee trinken und fährt wieder zurück. Da liegt am Abend auch mal ein Bier drin. Und am letzten Tag bestreitet man dann das Rennen.»
Rückblickend sind sich die zwei einig: «Wir sind froh, konnten wir diesen Weg bestreiten. Und wir haben heute noch Freude am Radsport, was aufzeigt, dass wir das Richtige gemacht haben. Auch den Aufwand, den unsere Betreuer Godi Schmutz, Bruno Wolfer und Markus Kunz betrieben, ist im Nachhinein gesehen krass. Wir merken erst jetzt, dass sie nebst der Arbeit noch viel für uns Rennfahrer leisteten. Ohne ein gutes Umfeld, die Unterstützung der eltern und Trainer, hätten wir den Sport nicht ausüben können.»
BRIGITTE KUNZ-KÄGI