Die Franzosen in Frauenfeld in der Zange der Österreicher
24.08.2024 RegionDie Schweiz ist im Jahre 1799 ein von Frankreich besetztes Land. Aber in Wien fällt der Entscheid, die Franzosen aus der Schweiz zu vertreiben. Österreichische Truppenteile überqueren zuerst bei Konstanz und Stein den Rhein. Erzherzog Karl entschliesst sich, durch den befestigten ...
Die Schweiz ist im Jahre 1799 ein von Frankreich besetztes Land. Aber in Wien fällt der Entscheid, die Franzosen aus der Schweiz zu vertreiben. Österreichische Truppenteile überqueren zuerst bei Konstanz und Stein den Rhein. Erzherzog Karl entschliesst sich, durch den befestigten Brückenkopf im Schaarenwald den Rhein zu überqueren. Gleichzeitig sollen General Hotzes österreichischen Streitkräfte aus dem Raum Graubünden über St. Gallen und das Toggenburg in Richtung Winterthur-Zürich vorstossen, die französischen und helvetischen Truppen attackieren und sich in der Region Winterthur mit Erzherzog Karl vereinen. Aber Hotzes Vorstoss entlädt sich im Gefecht bei Frauenfeld. Auch auf einem Seitenast über Elgg und das Eulachtal erreichen die Österreicher Winterthur.
Masséna pariert und greift gleichzeitig an
Frankreichs Oberbefehlshaber Masséna, der von Süden her die Linie Seuzach-Ohringen-Neftenbach-Dättlikon-Freienstein hält, unternimmt am 25. Mai gleichzeitige Angriffe auf die anrückenden Österreicher: Die Division Ney attackiert bei Talheim die österreichischen Truppen. Diese weichen – ihre Fährschiffe liegen bei Gütighausen, Niederneunforn, Uesslingen und Rohr bereit – aufs nördliche Ufer der Thur und entrinnen nach Andelfingen oder Pfyn. Sobald die geschlagenen Österreicher die Andelfingerbrücke hinter sich in Brand stecken, verebbt das Gefecht. Kein Franzose überschreitet die Thur!
Ausserdem erreicht der Franzose Paillard von Bülach her über Rorbas das strategisch wichtige Andelfingen, um die Brücke zu besetzen. Es entbrennt ein Kampf, bei dem ein Teil der Ortschaft in Flammen aufgeht. Gleichzeitig stösst die französische Division Oudinot nach Frauenfeld vor.
Österreicher und Franzosen bringen sich in Stellung
Im Städtchen an der Murg reitet von Norden her Nauendorfs österreichische Kavallerie ein. Vom Seerücken her rückt auch der österreichische Graf von Pappenheim mit einem ungarischen Infanteriebataillon und einer Schwadron Husaren nach Frauenfeld vor. Zugleich treffen von Süden Einheiten des Österreichers Petrasch aus dem Raum Wil ein. Sie biwakieren in der Abenddämmerung des 24. Mai zwischen Altholz und Huben. Andere beobachten von der Tuttwiler Höhe herab Aadorf und Tänikon, wo die Franzosen sitzen. Am 25. Mai früh um 3 Uhr marschiert die Spitze der Truppen Oudinots, zusammen mit der unter französischem Kommando stehenden Helvetischen Legion unter Generaladjutant Johann Weber und mit einigen Zürcher Kompanien aus dem Raum Winterthur, in Richtung Frauenfeld und wechselt bei Islikon die ersten Schüsse mit Pappenheims Posten.
Das Gefecht von Frauenfeld
Als die Franzosen vor Niederwil auftauchen, sich nach dem Junkholz bewegen, die Kavallerie beim Schönenhof sammeln und sich südostwärts orientieren, zieht sich Pappenheim wieder hinter die Murg zurück. Die Franzosen im Norden bewegen sich in Richtung Pfyner Thurbrücke, schwenken aber gegen Herten. Bereits um sieben Uhr sind nicht nur Frauenfelds südliche Höhen von Huben, sondern auch das Lang- und Kurzdorf in der Hand der Franzosen.
Von Wil her vorstossend, erscheint jedoch der Österreicher Petrasch im Altholz. Er bringt in Bühl und Dingenhart seine Artillerie in Stellung. Er schickt Truppen ins Pfaffenholz und möchte die Stadt teilweise im Osten umgreifen.
Oudinot wiederum zieht von Westen her seine ganze Division nach und konzentriert sich auf Frauenfelds Süden. Er dirigiert ein Bataillon von Gachnang über Gerlikon, die Stadt weit südlich umgreifend, bis nach hagenbuch. Er schiebt ausserdem im südlichen Nahbereich der Stadt Jäger mit helvetischen Scharfschützen in den Sektor Tal-Rüegerholz-Brotegg.
Die Helvetische Legion wird von ihrer beabsichtigten Verfolgung Pappenheims aus der Allmend zurückgerufen. Sie eilt vom Osten der Stadt nach Süden durch die Spanner- und Thundorferstrasse und schwärmt in Neuhausen beidseits des Weges aus. Ihr Kommandant Johannes Weber wird von einer Kugel in die Schläfe getroffen und stirbt einige Stunden später.
Gegen Mittag sieht sich der während des Morgens erfolgreich offensive französische Befehlshaber Oudinot jedoch gezwungen, hinter Stadt und Murg zurückzugehen. Mit frischen Mannschaften aus der Reserve Soult wagt er einen neuen erfolgreichen Angriff bis ins Pfaffenholz. Als auch noch die für ihre Stärke und Präzision gefürchtete französische Artillerie vom (ausgerechnet von Einheimischen empfohlenen) Hungersbühl bei Gerlikon her nachhaltig einzuwirken beginnt, befiehlt der Österreicher Petrasch den Rückzug. Dieser artet schliesslich über Sonnenberg, Stettfurt und Lommis teilweise zur wilden Flucht aus und beruhigt sich erst wieder bei Ruggenbühl.
Die Nacht zum 26. Mai verbringen die französisch-helvetischen Verfolger in Matzingen, Stettfurt und Sonnenberg, die abgezogenen österreichischen Abteilungen ihrerseits in Schönenberg, Lachen, Wängi und auf Ruggenbühl, während ihr Train und teilweise sogar auch die Kavallerie bis Wil zurückweichen.
Als bedeutend hatte sich die Thurbrücke bei Pfyn erwiesen. Pappenheim konnte zwar die zeitweise Einnahme des Übergangs durch die vorrückenden Franzosen nicht verhindern, vermochte sich aber ihrer wieder zu behändigen. Pappenheim hatte vom alarmierten Nauendorf Hilfe aus der bei Trüllikon und Rudolfingen in Reserve liegenden Brigade Simbschen erhalten. Ein Bataillon rückte über Neunforn-Uesslingen-Weiningen vor.
Überraschender Rückzug der Franzosen über Nacht
Es erstaunt, dass die Franzosen ihre Angriffe gegen die Österreicher bald einstellten und sich innert Stunden aus dem Raum Frauenfeld zurückzogen. Am 25. Mai hatten die ersten Kampfhandlungen im Westen der Stadt Frauenfeld begonnen und schienen erfolgreich zu verlaufen. Die zangenförmige Einnahme Frauenfelds und seiner Umgebung, die schweren Artilleriebombardemente aus dem Hungersbühl und schliesslich die panikartige Flucht der Österreicher. Aber im Morgengrauen des 26. Mai 1799 waren die Franzosen verschwunden. Sie waren zwischen 3 und 7 Uhr abgezogen. Weshalb? Das Hauptziel der Franzosen, die Vereinigung der Truppen General Hotzes und Erzherzog Karls, war misslungen. Ein weiterer Rückzugsgrund ist im strategischen Entscheid Massénas zu vermuten, die Front an die Töss, dann an die Glatt zurückzunehmen und schliesslich auf das befestigte Zürich zu verkürzen.
Stelldichein der Sieger in Frauenfeld
Am 26. Mai vormittags erscheinen kaiserliche Husaren in der Stadt. Ihnen folgt bald Graf Pappenheim selbst, für den die Frauenfelder wegen seines ritterlichen Wesens eine lebhafte Zuneigung gefasst haben sollen. Die Gegend wimmelt von österreichischem Militär: Teile der Armee des Erzherzogs Karl, das Korps Pappenheim, das Dragonerregiment Kinsky-Rosenberg, die Kavalleriedivision des Fürsten von Anhalt-Kothen, die Truppen des Fürsten von Reuss sowie einige Tausend Infanteristen von Hotzes Armee. Der Rest der Mannschaften Hotzes sammelt sich in Tuttwil, die Brigade Simbschen zwischen Kartause und Uesslingen. Mehrere österreichische Generäle übernachten in Frauenfeld, darunter die Ausnahmeerscheinung: Franz Seraphim Fürst von Rosenberg-Orsini, General der Kavallerie Kinsky. Er wird im Gefecht bei Frauenfeld durch einen Säbelhieb am Kopf schwer verwundet. Dies hält ihn jedoch nicht davon ab, an der Ersten Schlacht bei Zürich (4. Juni 1799) mitzukämpfen.
Kritik und Verluste
Erzherzog Karl hat eine schriftliche Bewertung des Gefechtes von Frauenfeld mit einer Kritik der Aktionen Massénas hinterlassen. Sein Gegner hätte sich zur Erringung eines strategischen Vorteils mit allen Kräften auf Andelfingen stürzen und den Gegner nordwärts über den Rhein werfen müssen, statt durch Zersplitterung an drei Punkten belanglose taktische Erfolge einzuheimsen.
Die französischen Gesamtverluste bei Frauenfeld und Pfyn betrugen an die 1400 Mann, von der Helvetischen Legion allein 135 oder ein Viertel. Die Verluste der Österreicher werden auf 2400 geschätzt. Die Gefangenen seien meist betrunken gewesen, wie überhaupt – meint Ernst Herdi – die sonst wackeren Soldaten der Verbündeten im Gerüchte der Unmässigkeit standen.
Eine Übersicht über das heftige Gefecht bei Frauenfeld vermitteln die Arbeiten des Ingenieurs J.J. Sulzberger, «Schilderung der Ereignisse beim Gefecht in Frauenfeld» in der Helvetischen Militärzeitschrift 1838; Ernst Herdi, «Geschichte des Thurgaus», 1943; Ernst Leisi, «Geschichte der Stadt Frauenfeld», 1946; Ernst Herdi, «Das Gefecht bei Frauenfeld und die Schweizersoldaten» im Thurgauer Jahrbuch, 1950.
Schweizer in Napoleons Russlandfeldzug
Der französische Kommandant des Frauenfelder Gefechtes, Charles Nicolas Oudinot, wird später zum Marschall befördert und nimmt 1812 an Napoleons Russlandfeldzug teil. Zur neunten Division des von Oudinot befehligten zweiten Korps gehörten vier Schweizer Regimenter, die Napoleons Nordflanke zu sichern hatten. 1810 war das Wallis durch Frankreich annektiert und dem «Département Simplon» eingegliedert worden. Das Walliser Bataillon, das ebenfalls zum zweiten Korps unter Marschall Oudinot gehörte, teilte das traurige Schicksal der Schweizerregimenter. Diese erleiden enorm hohe Verluste. Nur 700 Soldaten sollen in ihre Heimat zurückgekehrt sein. 16 Schweizer Truppenkörper dienten Napoleon im Ersten Napoleonischen Krieg 1798 bis 1802, bei der Niederschlagung der Haitischen Revolution 1802 und beim Aufbau und Niedergang der napoleonischen Ordnung 1803 bis 1815. Andererseits wurde die Besetzung der Schweiz und die Annexion als Vasallenstaat Frankreichs zu einem dornenreichen Ausgangspunkt der Entstehung der heutigen Schweizerischen Eidgenossenschaft.
MARKUS SCHÄR