Diagnose Zöliakie – Unterstützung mangelhaft
28.10.2023 ElggZöliakie ist eine Unverträglichkeit des Dünndarms gegenüber Gluten. Medikamente zur Therapie gibt es keine, einzig die glutenfreie Ernährung bleibt den Betroffenen. Was das für Auswirkungen auf das Leben und die Finanzen hat, darüber sprechen Alina und ...
Zöliakie ist eine Unverträglichkeit des Dünndarms gegenüber Gluten. Medikamente zur Therapie gibt es keine, einzig die glutenfreie Ernährung bleibt den Betroffenen. Was das für Auswirkungen auf das Leben und die Finanzen hat, darüber sprechen Alina und Madeleine Melliger.
Bei Zöliakie handelt es sich um eine chronische Autoimmunerkrankung, die Schäden im Dünndarm verursacht. Die einzige Therapie ist die strikte glutenfreie Diät. Bereits die Einnahme von kleinsten Mengen Gluten haben eine Schädigung des Dünndarms zur Folge. Dies kann zu diversen Folgeerkrankungen wie beispielsweise Depressionen, Unfruchtbarkeit, Mangelernährung, Osteoporose – bereits bei jungen Menschen – oder auch Wachstums- und Entwicklungsstörungen bei Kindern führen.
Die 15-jährige Elggerin Alina Melliger erhielt die Diagnose Zöliakie im Mai dieses Jahres. Bei einer Routineuntersuchung zeigten sich im Blutbild Abnormalitäten. Wie ihre Mutter sagt, waren unter anderem die Hämoglobin- und Eisenwerte viel zu tief, aber auch ein Vitamin-D-Mangel bestätigte sich. «Alle Werte, die auf Zöliakie hinweisen, waren nicht in Ordnung», so Madeleine Melliger. Bis auf Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten hätten sich zu diesem Zeitpunkt keinerlei Symptome geäussert.
Fehlende Spontanität, eingeschränktes Leben
Gegenüber der «Elgger/Aadorfer Zeitung» gibt sich Alina aufgestellt und tapfer. Sie sagt: «Es gibt schon Momente, in denen ich mit der Diagnose Zöliakie hadere. Ich bin eingeschränkt, muss immer alles im Voraus abklären und grosses Vertrauen haben. Die Spontanität leidet, doch inzwischen kann ich damit recht gut umgehen.» Mit fehlender Spontanität und Einschränkungen im Leben zu kämpfen, haben direkt und indirekt Betroffene. Im Fall der Schülerin auch die Familie. ein Beispiel erzählt ihre Mutter: «Vor dem Klassenlager nahm ich mit dem Lagerhaus vorgängig Kontakt auf, um herauszufinden, wie es dort gehandhabt wird. Einen Teil Lebensmittel mussten wir Alina mitgeben.»
Auch Zeiten eines spontanen Restaurantbesuchs seien nun vorbei. Es brauche Vorabklärungen, um zu erfahren, ob die Küche glutenfreies Essen anbietet. Trotz positiver Erlebnisse in einem Elgger Restaurant, sei immer fraglich, ob man sich darauf verlassen kann, dass man dort weiss, was glutenfrei heisst. Dies bedinge nämlich auch speziell sauberes Arbeiten. «Das ist eminent wichtig», sagt Madeleine Melliger, «da bei Alina eine Nulltoleranz gilt. Es mag nicht einmal Spuren von Gluten leiden.» Leider sei man in der Schweiz noch nicht so weit, dass das Bewusstsein darauf geschärft wäre. Die Familie war kürzlich in Italien, wo man diesbezüglich viel weiter sei als hier. Auch in Österreich werde auf Speisekarten ausgewiesen, sofern eine Mahlzeit Gluten enthalten kann.
Betroffene bleiben auf den Mehrkosten sitzen
In der Schweiz kommt bei allen chronischen Erkrankungen die Krankenkasse oder Invalidenversicherung (IV) für die Therapiekosten auf. «Einzig bei Zöliakie», teilt die Interessengemeinschaft (IG) Zöliakie mit, «zahlen die Patientinnen und Patienten die Kosten für ihre einzige Therapieoption, nämlich die glutenfreie Ernährung, selbst.» Dies seit letztem Jahr, als in der Verordnung für Geburtsgebrechen Zöliakie gestrichen wurde.
Die dadurch entstehenden Mehrkosten gehen ans Portemonnaie der Betroffenen. Die IG liefert als Beispiel das Frühstück: Zu den typischen Komponenten eines Schweizer Zmorge zählen Brot, Müesli oder Gipfeli. Die Kosten für glutenfreie Spezialprodukte wie Brot, Cerealien oder Mehl seien im Schnitt jedoch um 40 Prozent höher als bei normalen Produkten. Beispielsweise kostet ein Kilogramm glutenfreies Mehl je nach Marke fünf bis sechs Franken, also ein Mehrfaches von «normalem» Mehl.
Der Zöliakieverband Schweiz fordert deshalb einen finanziellen Ausgleich für Betroffene. Ein entsprechendes Postulat war für die Behandlung in der Herbstsession traktandiert, wurde aber aus mangelnder Zeit hinausgeschoben. Die SP-Nationalrätin Yvonne Feri macht mit ihrem Vorstoss auf die diversen gesundheitsschädigenden Auswirkungen von Zöliakie und auf die erheblichen Mehrkosten, welche glutenfreie Ernährung mit sich bringen, aufmerksam. In seiner Stellungnahme verwies der Bundesrat auf den in der Schweiz gewährleisteten Zugang zu glutenfreien, handelsüblichen Ernährungsprodukten sowie vorhandenen finanziellen Ausgleichssystemen im Bereich der Lebenshaltungskosten.
Gar kein Verständnis dafür
Die Eltern haben kein Verständnis dafür, dass sich die IV nicht mehr an den Mehrkosten beteiligen muss. Auch nicht dafür, dass Krankenkassen keine der Diätprodukte, auf die man angewiesen ist, vergütet. Auch wenn sie von gewissen steuerlichen Erleichterungen profitieren können – ein Tropfen auf den heissen Stein – hoffen Melligers, dass das Engagement der IG Zöliakie und des Verbands auf fruchtbaren Boden stösst.
Alinas Mutter wünscht sich aber auch andere Verbesserungen, wie sie in diversen Ländern bereits umgesetzt wurden. Sie sagt: «Egal ob in Deutschland oder Italien – es gibt dort in den Supermärkten explizit Gestelle mit glutenfreien Lebensmitteln. In der Schweiz muss man alles zusammensuchen, was sehr mühsam und zeitraubend ist. Vor allem, wenn man mit der Diagnose neu konfrontiert wird. Auch bei der Beschriftung der Produkte gäbe es Verbesserungspotenzial, damit man nicht überall zuerst das Kleingedruckte lesen muss.»
Eine grosse Hilfe ist die IG, die Betroffene in allen möglichen Belangen unterstützt. Sie leistet unter anderem individuelle Beratung, gibt wertvolle Tipps, bietet aber auch Kurse und Tagungen an – und sie führt Gespräche mit Politik und Gastronomie. Die Familie Melliger ist Mitglied der IG, was ihr den Einstieg ins Thema und den Alltag erleichterte. In der Schweiz von der Autoimmunerkrankung betroffen ist angeblich eine von 100 Personen – Tendenz steigend!
RENÉ FISCHER