Der Schweiz erster General Dufour
15.07.2025 RegionZu seinem Tod am 14. Juli 1875
Guillaume Henri Dufour (15.9.1787 – 14.7.1875) gehört zu den bedeutendsten Schweizern: als Bundespolitiker, Ingenieur, Kartograf, Militär und Humanist. Unter seiner Leitung war die Schweiz vermessen, die ...
Zu seinem Tod am 14. Juli 1875
Guillaume Henri Dufour (15.9.1787 – 14.7.1875) gehört zu den bedeutendsten Schweizern: als Bundespolitiker, Ingenieur, Kartograf, Militär und Humanist. Unter seiner Leitung war die Schweiz vermessen, die «Dufourkarte» geschaffen und unter seinem Kommando der Sonderbundskrieg 1847 umsichtig, schnell und möglichst human beendet. Seinem Grundsatz gemäss: «Il faut sortir de cette lutte non seulement victorieux, mais aussi sans reproche (Vorwurf).»
Als Dufour in Les Eaux-Vives verstirbt, versammeln sich bei seiner Beisetzung rund 60’000 Menschen und bezeugen die Verehrung, die er im Volk bereits zu Lebzeiten besass.
Operationsfeld Ostschweiz – Geplanter Angriff für Schaffhausen bis ins Badische
Auch nach dem Sonderbundskrieg bleibt die Bevölkerung in der neuen Schweiz innen- und aussenpolitisch patriotisch und Dufour weiterhin gefragt. 1849 war es im deutschen Land Baden zur Niederschlagung der Mai-Revolution gekommen. Zahlreiche Personen waren in die Schweiz geflohen. Bei der Besetzung der badischen Exklave Büsingen am Rhein verletzen hessische Truppen schweizerisches Hoheitsgebiet. Der Bundesrat mobilisiert an die Nordgrenze. Das Zürcher Weinland ist durch Truppenzusammenzüge und Grenzbesetzung betroffen. Dieser «Büsinger Handel» (1849) konnte innerhalb von neun Tagen beigelegt werden.
Weitaus gefährlicher war für die Schweiz der «Neuenburger Handel» von 1856/57. Der Kanton Neuenburg war einerseits Teil der Schweiz, anderseits Teil der preussischen Monarchie. In Neuenburg war es zu einem königsfreundlichen Staatsstreich gekommen. Die Anhänger Preussens wurden daraufhin gefangengesetzt. König Friedrich Wilhelm IV. (1795 – 1861) forderte deren Freilassung und war nicht gewillt auf seine Herrschaftsrechte in Neuenburg zu verzichten. Preussen bricht die Beziehungen zur Schweiz ab und bereitet eine Invasion vor!
In dieser gefährlichen aussenpolitischen Lage ernennt der Bundesrat erneut Dufour, im vorgerückten Alter 70, zum General. Dieser verlegt sein Hauptquartier aus der Bundesstadt nach Zürich und plant mit 100`000 Mann die Grenze am Oberrhein gegen eine angedrohte preussische Armee halten zu können und mit einem kühnen Vorstoss ins Badische, über den Kanton Schaffhausen hinaus (!), zu beeindrucken.
Bei der Eidesleistung im Bundeshaus gestand er: «Ich bin schon alt, die Jahreszeit ist rau und unser Feind ist mächtig. Meine Aufgabe ist schwer; aber ich werde meine Pflicht erfüllen.» Wie ein Junger macht sich Dufour an seine Aufgabe. Wie kann ein bevorstehender Angriff aus Deutschland auf die Schweiz abgewehrt werden? Wohl bildet der Rhein eine gute Grenze. Wie aber steht es mit dem Kanton Schaffhausen auf der rechten Seite des Rheins? Dufour plant: «Im Kriegsfall ergreife ich die Offensive und marschiere über die Grenze auf die Höhe hinter der Ach und der Wutach. Er lässt Schiffe und Kähne zur Erstellung zweier Brücken requirieren. Er bemüht sich um die Unterbringung seiner Truppen im kalten Winter 1856/57. Telegraf und Eisenbahn treten zum ersten Mal helfend in Betrieb.
Mobilisierte aus der Nachbarschaft und dem Thurgau
Bereits Ende Dezember 1856 befinden sich Truppen in Andelfingen, die an der Weihnacht in der Kirche am Abendmahl teilnehmen. Das ganze Weinland wird durch Militär stark besetzt. Im Schulhaus Humlikon wird am Tag Schule gehalten, und nachts belegen Soldaten das Schulzimmer. Elgg, das im Jahre 1847 mit 50 Mann gegen den Sonderbund gezogen war, mobilisiert für die Grenzbesetzung am Rhein 27 bewaffnete Wehrmänner. Jeder erhält bei der Entlassung 5 Franken aus dem Elgger Spitalgut mit dem Versprechen, man werde sie später wieder berücksichtigen und ihren Familien ebenfalls Unterstützungen zukommen lassen.
Die Bedrohungslage im Jahre 1856 erfordert auch im Thurgau Truppenzusammenzüge: die Bataillone 14 (Merkle) und 49 (Debrunner), die Schützenkompagnie 26 (Häberli), die Kavalleriekompagnie 14 (Stierlin), denen im Januar 1857 die Bataillone 7 (Keller) und 14 (Merkle) und die Schützenkompagnie 5 (Altweg) folgen. 1715 Mann hatten zum eidgenössischen Dienst einzurücken, 6823 Mann standen zu Hause auf Pikett. Gegen die Absicht der Preussen, die Seeherrschaft auf dem Bodensee zu erringen und eine Ausgangsstellung gegen die Nordostschweiz zu erreichen, plant Dufour den Aufbau einer Bodensee-Marine. Die modernen Schiffe der Dampfschiffahrts-Gesellschaft in Schaffhausen und der Nordostbahn-Gesellschaft in Romanshorn sollen mit je vier Geschützen, die Häfen von Romanshorn und Rorschach mit schwerem Artilleriegeschütz bewaffnet werden.
Verstärkung aus dem Tessin: «Viva Rosak (Rorschach)» Dufours Stab auf Schlitten
Aus der ganzen Schweiz marschieren Soldaten an die Grenze am Rhein.
Das Tagblatt der Stadt St. Gallen beschreibt den Marsch eines Tessiner Bataillons, das in Rorschach von einer grossen Volksmenge und der Bürgermusik empfangen wird: Die Passage durch das Misox und über den 6700 Fuss hohen Bernhardin war sehr gefährlich. Der Schnee lag drei bis vier Schuh hoch und der schneidende Wind verwehte den Weg. Die Tessiner Soldaten riefen «Viva Rosak»! (Es lebe Rorschach) bevor sie sich auf den Dampfschiffen «Stadt Schaffhausen und Thurgau» nach Romanshorn einschifften.»
Ingenieur A. Sallmann schildert die damalige Situation in Kreuzlingen: Als gegen Ende 1856 die Preussen der Schweiz mit Krieg drohten, bekam Kreuzlingen Einquartierung. Im Tagebuch eines Schülers des Dr. Thomas Scherr, alt Seminardirektor steht am 19. Januar 1857: Es war grosse Bewegung auf den Strassen. General Dufour kam mit seinem Stab in den «Löwen» nach Kreuzlingen, wo dann viele Offiziere eine Mahlzeit hielten. 20. Januar 1857: Morgens früh fuhr der General mit seinem Gefolge in vier Schlitten vorbei. Abends vorher hatte man ihm vor dem Löwen einen Fackelzug gebracht und die Seminaristen sangen und riefen «Lebehoch».
Als Dufour am 16. Januar 1857 die Nachricht erhält, der befürchtete Krieg habe vermieden werden können, entlässt er die Truppen und begibt sich auf Inspektionsreisen. Überschwenglich schreibt das Tagblatt der Stadt St. Gallen am 20. Januar 1857 von Dufours Empfang im festlich mit Flaggen geschmückten Rorschach. Am Bahnhof wird der Gefeierte von den Offizieren begrüsst. Unter dem Jubelruf der Bevölkerung begibt er sich mit seinem Gefolge zu Fuss in den «Flecken Rorschach». Im Archiv der Bürgermusik Rorschach ist bestätigt, dass die Musik den General am Bahnhof abholte und zum Hotel «Schiff begleitete.»
Die Causa Neuenburg endet friedlich
Es gelingt den preussischen König von einem Feldzug in die Schweiz abzubringen. Die süddeutsche Bevölkerung hatte dem Feldzug mehrheitlich kritisch gegenübergestanden. Skeptisch waren auch grosse Teile der preussischen Armee selbst. Die diplomatische Mission des aus Berlingen stammenden Thurgauer Ständerates Dr. J. K. Kern bei Kaiser Napoleon III. bringt anfangs Januar 1857 die Entspannung und nach langen Verhandlungen im Sommer auch die friedliche Lösung. Der Kanton Neuenburg bleibt bei der Schweiz, der Titel «Fürst von Neuenburg» beim König Friedrich Wilhelm IV in Berlin.
In der Aufsatzsammlung des Erfolgshistorikers Joseph Jung wird dem Protagonisten Dufour eine massive Fehleinschätzung der militärischen Lage vorgeworfen. Auch Dufours Ueberlegung, vom Kanton Schaffhausen aus einen Präventivschlag in den Hegau zu unternehmen und badisches Gebiet zu besetzen, sei ein Fehler gewesen.
Was wäre geschehen, wenn ...
Was wäre geschehen, wenn es zum Krieg mit den Schweizern gekommen wäre? Dies soll ein Preusse einen Appenzeller gefragt haben, falls die Preussen mit 100`000 Gewehren gegen sie marschiert wären. «Wir hätten ihnen auch 100`000 entgegengestellt. – «Und wenn wir mit 200`000 gekommen wären?» – Der Appenzeller nicht verlegen: «Dann hätten wir grad noch einmal geladen!»
Das ist ein Appenzellerwitz. Drei Jahre nach dem für die Schweiz glücklich überstandenen Neuenburgerhandel erhält Preussen aber seinen «eisernen Kanzler» Bismarck. Zielbewusst betritt er den Kriegspfad: überwindet den Nachbar im Norden, Dänemark, den Bruder im Osten, Österreich, den Nebenbuhler Frankreich im Westen, den bis dahin fast allmächtigen Napoleon III. Im Spiegelsaal von Versailles krönt er seinen preussischen König zum Kaiser von Deutschland! Und die Schweiz, wenn Bismark 1856 Kanzler gewesen wäre?
Zuletzt die Südgrenze
Noch einmal muss Dufour im Ernstfall einrücken. Im Jahre 1859 ist die Schweizer Südgrenze gefährdet. Napoleon III. unterstützt den König von Sardinien gegen die Österreicher. Die Schweizer Südgrenze muss besetzt und die Befestigungen bei Bellinzona verstärkt werden. Dufour führt im Alter den Festungsbau weiter, den er in jungen Jahren auf Korfu begonnen hatte.
Die Bewachung der Südgrenze machen aus Andelfingen zehn Wehrmänner mit, die von der Gemeinde je zehn Franken erhalten; Klein-Andelfingen beschenkt seine elf am Grenzdienst beteiligten Soldaten mit acht Franken.
MARKUS SCHÄR
Kantonsingenieur, Festungsbauer, Kartograf, Politiker, Humanist
Guillaume Henri Dufour (15.9.1787 – 14.7.1875) wird als Sohn einer französischen Flüchtlingsfamilie in Konstanz, nahe der Grenze, beinahe im Thurgau (!), geboren. Er wird aber mehrheitlich im französischen Sprachbereich leben. Erst im vorgerückten Alter und gegen Ende seiner militärischen Karriere, wird ihm die Ostschweiz zum Operationsgebiet.
Seine Jugend verbringt er im Genfer Vorort St. Gervais und an der «Ecole polytechnic» in Paris. Genf gehört seit der Eroberung 1798 zu Frankreich, wird aber am Wiener Kongress 1815 wieder Teil der Eidgenossenschaft.
Dufour tritt 1811 in die französische Armee ein und erreicht den Hauptmannsgrad im Generalstab. Er wird nach Korfu verlegt, um die Insel gegen die Engländer zu verteidigen. Dort beschäftigt er sich mit dem Thema Befestigungsbau, das er später auch für die Schweiz anwendet.
In seine Heimatstadt zurückgekehrt, wird Dufour Kantonsingenieur, tritt der eidgenössischen Armee bei, wird Oberst und später zum Chef der Generalstabsabteilung ernannt. Als 1819 Mitbegründer der Militärschule in Thun 1819 unterrichtet er als Oberinstruktor der Genie. Zu seinen Schülern gehört anfangs der 1830er-Jahre Louis-Napoleon Bonaparte, der später als Kaiser Napoleon III die Geschicke Frankreichs lenkt. Dieser Sohn von Louis Bonaparte, einem jüngeren Bruder des berühmten Napoleon, wohnte mit seiner Mutter Hortense de Beauharnais, der Stieftochter des Korsen, auf Schloss Arenenberg im Thurgau. Nach dem Regimewechsel war Hortense 1815 in die Schweiz geflüchtet und hatte dort Exil erhalten.
Der aus Korfu Zurückgekehrte arbeitet als Kantonsingenieur in Genf, beeinflusst die bauliche Planung der Stadt Genf und des Schweizer Eisenbahnnetzes. Der Festungsspezialist erstellt das Konzept für die eidgenössischen Befestigungen, hauptsächlich in den Festungsgebieten Saint Maurice, Sargans und Bellinzona. Die Dufourbefestigungen gelten heute als militärhistorische Denkmäler von nationaler Bedeutung.
Als Kartograf für die Landesvermessung und Triangulation zuständig, gründet er das Eidgenössische Topografische Büro in Carouge, das spätere Bundesamt für Landestopografie, welches 25 Landkarten publiziert, die unter dem Namen «Dufourkarte« im Massstab 1:100’000 erscheinen.
Als Politiker vertritt er die Interessen einer neutralen Schweiz im National- und Ständerat. Und er gehört zusammen mit Henry Dunant, Théodore Maunoir, Louis Appia und Gustave Moynier zu den Gründungsmitgliedern des Roten Kreuzes.