Der Bildersturm vor dem Ittinger Sturm
03.02.2024 RegionZur Zeit Huldrych Zwinglis häufen sich in Zürich die Anschläge auf die Heiligenbilder. Waren es zuvor die Heiligen selbst, welche die Gemüter erhitzten, reizen nun auch ihre Abbilder zu heftigem Widerspruch.
Zu den Ersten, die sich öffentlich gegen die Heiligenbilder ...
Zur Zeit Huldrych Zwinglis häufen sich in Zürich die Anschläge auf die Heiligenbilder. Waren es zuvor die Heiligen selbst, welche die Gemüter erhitzten, reizen nun auch ihre Abbilder zu heftigem Widerspruch.
Zu den Ersten, die sich öffentlich gegen die Heiligenbilder äusserten, gehört Leo Jud, Pfarrer am St. Peter: «Es wäre recht, dass man die Götzen us der Kilchen tun söllte.» Da Jud mit biblischen Geboten dazu auffordert, kommt es bereits nach einer Woche zu den ersten Bilderzerstörungen in der Stadt. Der bekannteste Frevler ist Laurenz Hochrütener. Er wird milde bestraft: drei Nächte in den Turm. Der Entlassene trifft sich mit Klaus Hottinger und Hans Oggenfuss im Stadelhofen, wo sie gemeinsam das dortige Kreuz ausgraben und umlegen. Auch in Höngg werden Bilder zerschlagen. In Wipkingen wirft eine fröhliche Hochzeitsgesellschaft die Bilder aus der Kapelle in die Limmat. Gleichzeitig erscheint eine vielbeachtete Schrift des Bischofszeller Ludwig Hätzer gegen die Heiligenbilder: «Ein urteil gottes unsers eegemahels wie man sich mit allen götzen und bildnussen halten sol, us der heiligen gschrifft gezogen.» Die unkontrollierten Bilderstürme bringen die Zürcher Regierung in Verlegenheit und Ratlosigkeit.
Der Zürcher Rat will die Ausräumung der Kirchen
Die Obrigkeit sieht die Lösung in einer öffentlichen Aussprache. Im Oktober 1523 stehen an einer gegen 900 Personen zählenden «Zweiten Zürcher Disputation» die Verehrung der Heiligenbilder im Mittelpunkt. Als Norm gilt die Bibel, vor allem das zweite der zehn Gebote: «Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen, kein Abbild von dem, was im Himmel droben oder unten auf der Erde oder im Wasser unter der Erde ist. Du sollst dich nicht vor diesen Bildern niederwerfen.» Die Disputation verläuft kontrovers, eine Mehrheit jedoch votiert für die Entfernung der Bilder. Aber man geht ergebnislos auseinander. Die umstrittenen Bilder und Statuen werden vorerst nicht entfernt.
Entscheidend wird das Mandat des Rates «Wie man mit den Kilchengötzen handeln soll» vom 15. Juni 1524, welches die Ausräumung der Kirchen anordnet: «Unsere Herren haben (…) beschlossen, die Bilder oder Götzen an allen Orten, wo sie geehrt werden, wegzutun, damit jedermann sich von den Götzen ganz und gar zu dem lebendigen, wahren Gott hinwende, und ein jeder alle Hilfe und Trost bei dem einigen Gott durch unsern Herrn Jesum Christum suche (…) und die Güter und Gelder, die in solchen Bildern angelegt sind, sollen an die armen, bedürftigen Menschen, die ein wahres Ebenbild Gottes sind, verwendet werden.»
Unerhört: Erstmals in der abendländischen Geschichte hatte eine weltliche Obrigkeit die Entfernung religiöser Bilder verfügt. Die konkrete Umsetzung der Kirchenräumungen übernimmt schliesslich eine Kommission, in der die drei Leutpriester und Vertreter der Zünfte vereinigt sind. Vom 20. Juni bis 2. Juli 1524 werden alle Kirchen Zürichs nicht in einem Bildersturm, sondern unter Aufsicht und Führung der Obrigkeit ausgeräumt. Man schliesst die Türen, nimmt überflüssigen Schmuck an Wänden und Altären herunter. Die Wände werden weiss übertüncht. Zwingli nennt das Ergebnis: «Wir in Zürich haben hübsch wyssen templen.» Innert zweier Wochen waren die Stadtkirchen von allen religiösen Bildern und Gegenständen geräumt.
Aber nicht alle Gemeinden ausserhalb Zürichs machen mit. Eine Reihe von ihnen behält die Bilder bei. Bis 1524 konnten sie selbst entscheiden, ob sie diese abschaffen oder behalten wollten. Dann aber befiehlt man ihnen die Bilderentfernung. Dazu ist wenig bekannt. Der Chronist Bernhard Wyss schreibt zwar, dass in Egg und Maur Tafeln und Bilder auf dem Kilchhof öffentlich verbrannt worden seien. Wüste Attacken gab es auch im zürcherischen Weiningen und Bilderzerstörungen sind aus Elgg und dem thurgauischen Aadorf bekannt.
Stammheims Handicap
Die Situation im entfernten Stammheim ist aussergewöhnlich. Überzeugt folgt das Dorf dem Zürcher Bildermandat. Aber die ihm vorbildliche Limmatstadt ist nur eine der Mächte, die über das Geschehen im Weinlanddorf mitbestimmt. Zürich besitzt zwar die niedere Gerichtsbarkeit, über die hohe jedoch verfügt der eidgenössische katholische Landvogt auf Schloss Frauenfeld. Der Bischof von Konstanz ist die oberste Kircheninstanz im Land und schliesslich besitzt der Abt von St. Gallen im Weinlanddorf die Kollatur, das Recht, den Priester einzusetzen.
Landvogt Nikolaus Muheim aus Uri meldet die ersten Bildzerstörungen der Tagsatzung in Luzern, dann derjenigen in Baden. Bei deren Verbrennung hätten sich besonders der Söldner Konrad Wepfer, Untervogt Hans Wirth und seine Söhne, die Kaplanen Johannes und Adrian hervorgetan.
Der alte Priester gegen zwei junge Kaplane
Die neue religiöse Bewegung aus Zürich trifft den Priester von Stammheim, Adam Moser, in vorgerücktem Alter. Sie lässt ihn kalt. Das Dorf beklagt sich darüber in Zürich schriftlich und durch Abgeordnete unter Leitung des Untervogts Hans Wirth. Moser macht geltend, er habe angefangen das Evangelium des Matthäus zu predigen, könne sich aber nicht dazu entschliessen, die Bilder und Messe abzuschaffen. Daraufhin delegiert Zürich Adrian Wirth, Helfer an St. Peter in Zürich, und seinen älteren Bruder Johannes, Kaplan an der Wallfahrtskapelle St. Anna, als Prädikanten nach Stammheim. Die Stammheimer lehnen Dekan Moser ab und wählen am 1. Mai 1524 die Brüder Johannes und Adrian Wirth als ihre ersten reformierten Pfarrer, «trotzdem der landvogt häfftig darwider tobte».
Ausräumung in Stammheim, Waltalingen und Nussbaumen
Zur Ausführung des Zürcher Ratsbeschlusses, die Heiligenbilder aus sämtlichen Kirchen zu Stadt und Land wegzuschaffen, wählt Stammheim 24 eigene Männer. Untervogt Wirth will zwar die Bilder unzerstört auf die Kirchenempore verschwinden lassen. Dagegen besteht der Waltalinger Untervogt Klaus Ulrich darauf, «sie so wegzutun, dass sie weggetan seien». Konrad Wepfer wiederum, «der ruchigst und bochigst und scharpff mit Reden», schreit in die Versammlung hinein: «Was wollen wir lange gmeinden und raten? Wem es gefällt, die Götzen zu verbrennen, der trete auf meine Seite.» Er bekommt die Mehrheit. Das Beispiel Zürichs wirkt.
Untervogt Burkhart Reutimann von Nussbaumen und Abgeordnete Stammheims und Waltalingens waren nach Zürich gereist. Bei ihrer Rückkehr berichten sie darüber, wie man dort die Götzen aus der Kirche schaffe, verbrenne und in die Limmat werfe. Stammheim will es Zürich nachahmen, auch wenn die Kirchenpfleger Kläui Weber und Klaus Schuler damit nicht einverstanden sind. Ende Juni 1524 kommt der Gemeindebeschluss für die Räumung und Zerstörung zur Ausführung.
Aus der Kirche Unterstammheim werden in einem Kalkofen neben dem Kirchhof verbrannt: zwei gefasste Tafeln und eine ungefasste, ein grosses Kreuz mit dem Erlöser, darunter ein Bild unserer lieben Frau Maria, ein Bild des Apostels Johannes, über 100 Bilder, Fahnen und Kreuze, darunter andere Kostbarkeiten. Nebst den ablehnenden Pflegern nehmen an der Verbrennung teil: Burkhart Zäsi, Otli Farner, genannt Possli, Ulrich Windler, Adam Mettler und Hans Keller – alle aus Unterstammheim.
Aus der Gallus-Kapelle in Oberstammheim werden drei Tafeln, zwei Fahnen, eine Anzahl Bilder, Kreuze, Zeichen und Kleinodien entfernt und in unmittelbarer Nähe der Kapelle verbrannt. Während die Heiligenbilder brennen, rufen einige verhöhnend: «Hört, wie sie schreien! Wie tut ihnen das Feuer so wee! (...) Da haben wir recht getan und Gott einen Dienst erwiesen!» Anwesend sind sieben durch die Gemeinde bezeichnete Abgeordnete.
Aus der Sankt-Anna-Kapelle in Oberstammheim werden eine Altartafel der heiligen Anna und weiterer Schmuck verbrannt. Auch hier ist der Untervogt Hans Wirth dabei. In der Nacht zuvor aber soll das aussergewöhnliche Bild der Himmelfahrt der heiligen Anna weggeschafft worden sein, um schliesslich nach dem sicheren Frauenfeld-Oberkirch zu gelangen.
In Nussbaumen verbrennen Untervogt Burkhart sowie Bernhard Reutimann eine Tafel, viele Bilder, Fahnen und Kreuze. In Waltalingen sind Klaus Ulrich, Hansli Schneiter von Waltalingen, Balthasar und Rudolf Reutimann von Guntalingen mit der Verbrennung beauftragt. Der Pfleger Jakob Ulrich weiss die Verbrennung der Hostie zu verhindern.
Pfarrer Johannes Wirth, der sich während dieser Vorgänge in Stein am Rhein aufhält, gratuliert der Gemeinde am folgenden Sonntag auf der Kanzel wegen der Beseitigung der Bilder.
Für den Landvogt ist die Verbrennung ein «crimen lasae majestatis», ein an Gott begangenes Majestätsverbrechen, das strenge Ahndung erheische. Er verklagt deshalb alle Teilnehmer bei der Tagsatzung und bezeichnet die beiden Brüder Johannes und Adrian Wirth als die Hauptschuldige; er werde sie schon an den Schatten zu bringen wissen.
Der ersten Folgen der Bilderverbrennung
Ende Juni 1524 zieht ein neuer Landvogt in Frauenfeld ein: Joseph Amberg von Schwyz. Er berichtet den regierenden Orten über die Situation in Stammheim, wo die Leute immer mehr «verruchen und verwildern», über die Abschaffung der Messe, Beichte, des Fastens, über die Absetzung ihres rechtmässigen Pfarrers und die erfolgte Bilderverbrennung. Die Rädelsführer seien immer der Untervogt Hans Wirth und seine beiden Söhne, die Prädikanten Johann und Adrian Wirth. Amberg erhält den Befehl, die Hauptstifter in seine Gewalt zu bringen und sie gefangen zu halten. Der 1908 verstorbene Ortspfarrer Alfred Farner beschreibt die Vorgänge in Stammheim und ihre Hintergründe für seine 1911 posthum erschienene «Geschichte der Kirchgemeinde Stammheim» ausführlich und vorbildlich. Gegenüber beiden Konfliktparteien gerecht sein wollend, schreibt er verständnisvoll: «Es war den Katholiken im Grund nicht zu verargen, dass sie an der Zerstörung der Heiligen Anstoss nahmen und sie Kraft der ihnen nun auch einmal in Stammheim zustehenden richterlichen Gewalt zu ahnden suchten. Sie hatten von ihrem Standpunkte aus Recht; aber ebenso waren die Stammheimer im Recht, wenn sie dies als unerträgliches Attentat auf ihre kaum gewonnene Glaubens- und Gewissensfreiheit empfanden. Die Schwierigkeiten lagen an den verwickelten rechtlichen Verhältnissen der Gemeinde, deren Gerichtsbarkeit einesteils dem reformierten Zürich, andernteils den meist katholisch regierenden Ständen des Thurgaus gehörte.» Mit der Verbrennung der Heiligenbilder war die Sache nicht beendet. Es war im Gegenteil der Anfang einer sich unheilvoll ankündenden Zukunft. Stammheim war wegen der Rache schwörenden Worte des Landvogtes Joseph Amberg von Schwyz in Frauenfeld alarmiert. Der Chronist Bernhard Wyss schreibt: «Disem Landvogt lag unvertöwt (unverdaut) im magen, das verbrennen der Bildern zuo Stammen und abthuon der grossen walfart zuo St. Anna, suocht fuog (Gelegenheit), wo und wie er kondt, den schaden zuo rächen.»
Die umstrittenen und verbrannten Heiligenbilder brachten damit nicht nur Stammheim, Waltalingen, Nussbaumen und die umliegenden Dörfer aus der Balance. Der Streit schwärte auch durch die Eidgenossenschaft und trieb einem ernsthaften Konflikt entgegen.
MARKUS SCHÄR