Den herrschenden Verkaufszyklus entschleunigen
16.04.2024 ElggDie Gesellschaft kauft zu viele Neuprodukte und entsorgt im selben Masse vieles, das noch einwandfrei funktionieren würde. Diesem ungesunden Trend wirkt das Computerbrocki entgegen: Hier erhalten elektronische Komponenten ein zweites Leben, die das Ende ihres Zyklus noch längst ...
Die Gesellschaft kauft zu viele Neuprodukte und entsorgt im selben Masse vieles, das noch einwandfrei funktionieren würde. Diesem ungesunden Trend wirkt das Computerbrocki entgegen: Hier erhalten elektronische Komponenten ein zweites Leben, die das Ende ihres Zyklus noch längst nicht erreicht haben.
Wem beim Gedanken an einen Secondhand-Anbieter von Computern an den Macintosh 128K, an verstaubte Rechner der Anfangszeit, an speckige Kabel oder klobige Tastaturen denkt, der wird im Computerbrocki rasch eines Besseren belehrt. Das Gründer- und Vorstandsteam, bestehend aus Michael und Lea Nydegger mit Colin Haudenschild, hat im ersten Stock des «Zigerstocks» Verkaufsräume mit einem Angebot geschaffen, das sich sehen lassen kann: deckenhohe Regale mit sauber aufgereihten Bildschirmen, Tische mit Mac-Rechnern und PCs diverser Marken. Kisten mit Mäusen, Steckern und Kabeln. Komponenten für Serverräume, alles fein säuberlich sortiert zum Wiederverkauf; kaum vorstellbar, dass sich die Räume vor weniger als drei Jahren im Rohbau befanden und noch komplett leer waren. Die Idee entstand im Frühling vor drei Jahren, im September folgte der Einzug.
Informatiker und Systemtechniker Nydegger erklärt: «Ich arbeitete vor einigen Jahren in einer Berufsschule. Dort werden Computer und Bildschirme laufend ausgetauscht, um die Infrastruktur einigermassen aktuell zu halten. Es stellte sich immer wieder die Frage, was mit den gebrauchten – aber noch voll funktionsfähigen – Geräten zu geschehen hat. In einem ersten Schritt landete alles im Keller, wo es nach zwei Jahren immer noch stand. Das war ja nicht nur bei uns in der Schule der Fall, so passiert es tagtäglich irgendwo.» Aus dieser Tatsache reifte der Gedanke, gebrauchte IT-Infrastruktur zurück in den Kreislauf zu bringen, im Sinne der Nachhaltigkeit und einem schonenden Umgang mit Ressourcen. Nydeggers kaufen auch privat vieles im Brockenhaus. Sie erzählen, dass ein Grossteil ihrer Einrichtung aus zweiter Hand stammt.
Der bedenkliche Umgang mit Ressourcen
Die Kundschaft setzt sich einerseits aus Menschen zusammen, die sich einen nachhaltigeren Lebensstil auf die Fahne geschrieben haben, aber auch aus solchen, die sich finanziell in einer angespannten Lage befinden. Speziell für diese Gruppe kann im Brocki ein Gutschein gekauft werden, der später von jemandem eingelöst wird, der sich ein Produkt sonst nicht leisten kann. Eine sinnvolle Spendenidee, die genau dort hilft, wo es nötig ist. Zu den Kunden zählen nebst Privatpersonen auch Start-up-Unternehmen, deren Budget eine Investition in neue Infrastruktur noch nicht zulässt.
Allerdings: «Wir haben einige, die lieber bei uns einkaufen, als Neuware zu bestellen. Sie sagen, die Qualität sei ebenbürtig, die Preise dagegen fast unschlagbar. Zudem finden sich hier teilweise Komponenten, die neuwertig sind oder sogar noch originalverpackt – Kabel zum Beispiel», erzählt Nydegger. «Ich als Nicht-Informatiker finde es erschreckend, was alles entsorgt wird. Die Technologie bei Kabeln oder Mäusen hat sich seit Jahren nicht verändert, trotzdem landen sie kistenweise bei uns. Diesen Umgang mit Ressourcen finde ich bedenklich», fügt Colin Haudenschild an, zuständig für die Finanzen und das Marketing. «Ja, irgendwie krass. Einerseits kaufen wir als Gesellschaft vieles in ‹Unverpacktläden› ein, andererseits entsorgen wir kiloweise Kabel und Stecker, weil sie vom Hersteller mitgeliefert werden, obwohl sie gar nicht benötigt werden», ergänzt Lea Nydegger, die sich um anfallende Arbeiten im Lager und Verkauf kümmert.
Verkauft wird nur geprüfte, einwandfreie Ware
Dem Team ist es gelungen, eine solide Grundlage zu schaffen. Insgesamt hätten sie gegen 1600 Stunden Zeit investiert, wie Nydegger erklärt. Viel Zeit steckt in der Wiederaufbereitung. Der IT-Techniker prüft die Geräte auf ihre Funktionsfähigkeit, löscht sämtliche, allenfalls noch vorhandenen Daten und setzt alles neu auf. Defekte Komponenten werden repariert; was zum Verkauf bereitgestellt wird, wird eingehend getestet. «Ein sorgfältiger Bildschirmtest dauert etwa 20 Minuten, derjenige eines Rechners mindestens eine Stunde. Uns ist es sehr wichtig, dass wir unseren Kunden nur funktionierende Komponenten weiterverkaufen», sagt Nydegger. Deswegen würden sie auf allen Geräten zwei Wochen Garantie geben, gegen einen Aufpreis auch ein Jahr. Die Verkaufspreise würden sich zwischen 30 und 40 Prozent vom Neupreis bewegen, so Haudenschild.
Seine These, dass das beste Produkt jenes sei, das nie produziert werde, erklärt Nydegger anhand einer PET-Flasche: «Wird eine solche rezykliert, ist das gut. Aber noch besser wäre es, wenn sie nie hätte produziert werden müssen, weil an ihrer statt eine Glasflasche verwendet worden wäre.» Haudenschild pflichtet dem bei und fügt an, dass man sich gegenüber neuen Formen des Konsums öffnen müsse: «Brauchen wir immer Neues oder liessen sich Bedürfnisse und Anforderungen auch mit einem Gerät aus zweiter Hand abdecken?» Im Computerbrocki wird versucht, den immer schneller drehenden Konsumzyklus zu entschleunigen.
Die Rechtsform der Genossenschaft wurde bewusst gewählt, weil der wirtschaftliche Zweck dem Selbsterhalt dient und nicht gewinnorientiert ausgerichtet ist. Den Beteiligten wird keine Dividende ausbezahlt und alle haben an der Versammlung eine Stimme, unabhängig der Anteile, die jemand innehat.
«Wir können nur verkaufen, was wir erhalten»
Das Computerbrocki Elgg hat den Anspruch, ein möglichst breites Publikum zu bedienen: «Bei uns findet auch ein Tüftler einen ganz bestimmten Stecker oder den gewünschten Prozessor. Er sucht sich durch die Regale und Kisten und findet im besten Fall am Ende genau das Gesuchte.» Wer allerdings nach Laptops, Tablets oder Smartphones Ausschau hält, hat nur selten Glück. Diese Geräte sind vor ihrer Entsorgung meist im Besitz von Privatpersonen, die bei einem Neukauf oft in einer Schublade landen, privat weitergegeben oder auf speziellen Plattformen weiterverkauft würden. Allerdings sei gerade eine grössere Anzahl Tablets eingetroffen, erzählt Nydegger und fügt an: «Wir haben halt einfach das zum Verkauf, was wir erhalten. Vieles aus Geschäftsaufgaben oder nach Erneuerung der Firmeninfrastruktur.» Am besten ist es, an einem Dienstagnachmittag vorbeizugehen und sich vom Angebot und Service persönlich ein Bild zu machen.
MARIANNE BURGENER
Infobox
Das Computer-Brocki ist jeden Dienstagnachmittag zwischen 13.15 und 17.30 Uhr geöffnet. Weitere Informationen unter: www.computerbrocki.ch