Das Geheimnis des Weihnachtssterns
28.11.2023 RegionWeihnachtszeit ist auch Sternenzeit: In vielen Fenstern, an Fassaden und in Strassenzügen weisen in der früh einsetzenden Dunkelheit dieser Wintertage leuchtende Sterne auf das nahe Christfest hin. Der Ursprung dieser Himmelslichter liegt im Bibeltext aus dem Matthäus-Evangelium, ...
Weihnachtszeit ist auch Sternenzeit: In vielen Fenstern, an Fassaden und in Strassenzügen weisen in der früh einsetzenden Dunkelheit dieser Wintertage leuchtende Sterne auf das nahe Christfest hin. Der Ursprung dieser Himmelslichter liegt im Bibeltext aus dem Matthäus-Evangelium, ein glanzvolles Gestirn habe die Weisen aus dem Morgenland zur Geburtsstätte Christi geleitet. Dass es nur drei Gelehrte gewesen seien, mit den etwas seltsamen Namen Caspar, Melchior und Balthasar, geht hingegen auf diffuse frühmittelalterliche Quellen zurück.
Die auch als die drei Könige bekannten Männer überreichten als kostbare Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe. Diese Gaben sind in moderner Auslegung wohl nur ein Hinweis, mit Geschenken die Herzen unserer Liebsten zu erwärmen. Von dieser rein materiellen Erwartung lebt heute eine höchst einträgliche Industrie. Sie reicht in ihren Empfehlungen von liebevoll durch Kinder ausgestochene Mailänderlis bis zum Ferrari 480 GTB, den man statt unter dem Weihnachtsbaum wohl besser im festlich dekorierten Autogeschäft zur Übergabe vorbereitet. Das hauseigene Audiosystem wird dazu «Oh du fröhliche …» intonieren, während der Samichlaus persönlich die Schlüssel überreicht: «Happy Christmas» – und vier Winterreifen gratis dazu.
Grosses Planetentreffen an Weihnachten 1603
Doch zurück zum Weihnachtsstern: Die wohl ältesten Überlegungen, ob vor gut 2000 Jahren ein besonderes Gestirn am Himmel leuchtete, finden ihren Ursprung im Astronomen Johannes Kepler (1571- 1630). Sein 1604 erschienenes Buch zeigt eine nicht datierte Illustration einer nahen Begegnung der Planeten Jupiter, Saturn und Merkur. Mit einer Nachstellung am Computer kann auf die halbe Stunde genau (!) belegen, dass Kepler dieses eindrückliche Planetentreffen im Morgengrauen des 25. Dezember 1603 von seinem damaligen Wohnort Prag beobachtete. Und es ist auch leicht nachzuvollziehen, dass er durch diese am Weihnachtstag gemachte Sichtung der Frage nachging, ob eine ähnliche Planetenbegegnung um den Beginn unserer Zeitrechnung den legendären Weihnachtsstern gebildet haben könnte. Seine Rückrechnung ergab eine nahe und erst noch dreimalige Begegnung zwischen Jupiter und Saturn im Jahr 7 vor Christus im für Christen ja ganz besonders symbolträchtigen Sternbild der Fische.
Solche durch ihre Bahnschleifen am Himmel verursachte Dreifachkonjunktionen der beiden Riesenplaneten sind äusserst selten: Die letzte fand in den Jahren 1980/81 statt. Und für das nächste planetare Supermeeting dieser Art merken wir uns in der Dating-App die Jahre 2238/39 vor: «Save the Date, please.»
Eine gleissend helle Supernova?
Kämen eigentlich noch andere seltene Sternkonstellationen oder astronomische Phänomene für den legendären Weihnachtsstern in Frage? Hier drängt sich sofort eine Supernova auf, wobei der dann jeweils extrem helle, vermeintlich «neue Stern» (lat. Nova) am Nachthimmel in Wirklichkeit das Ende eines Riesensterns markiert. Moderne Computerprogramme modellieren die komplexen Prozesse in alten Sternen, die zu ihrem Lebensende in einer gigantischen Explosion einerseits ihre äussere Hülle in den Raum hinausschleudern, während das Sterninnere in ein dichtes Materiepaket zusammensackt und im Extremfall sogar in einem Schwarzen Loch mündet. Unsere Vorfahren sahen hingegen in solchen glanzvollen Himmelszeichen einen göttlichen Hinweis auf grosse Ereignisse, wobei selbst der tiefgläubige, aber sonst eigentlich sehr rational gepolte «Kayserliche Hofmathematicus» Johannes Kepler bei der Beobachtung der Supernova von 1604 auf solche spekulativen Irrwege geriet.
Leider aber gibt es in keinem Kulturkreis einen Hinweis, dass um den Beginn unserer Zeitrechnung eine Supernova über die Himmelsbühne gegangen wäre. Und gerade die weit entwickelten Hochkulturen im Fernen Osten haben das Aufleuchten solch extrem seltener «neuer Sterne» mit besonderer Akribie aufgezeichnet.
Unheilvolle Schweifsterne
Bleibt also für die astronomische Erklärung des Weihnachtssternes noch ein Komet, also einer jener Himmelsvagabunden, die als Kilometer grosse Eisblöcke aus den Tiefen des Sonnensystems auf langgezogenen Bahnen um die Sonne sausen. In der Sonnennähe tauen sie auf und entwickeln unter dem Druck der Sonnenstrahlen aus der Dunstglocke um ihren Kern den oft Millionen Kilometer langen Schweif.
Ein Komet würde perfekt passen, zeigen doch unzählige historische Abbildungen den Weihnachtsstern auch mit einem Schweif. Doch falsche Spur, denn Kometen galten schon im Altertum und bis tief in die Neuzeit hinein als Unglückspropheten: Wenn ein Komet am Himmel auftaucht, ist auch ein unseliges Ereignis nicht mehr weit. So lautete die oft mit martialisch illustrierten sogenannten Einblattdrucken weit verbreitete Meinung über die geschweiften Himmelsboten. Da gerade im Mittelalter oft ein Unglück das nächste jagte – Naturkatastrophen, Seuchen, Kriege, schlechte Ernten – war diese Zuordnung der «Zornruten Gottes» als Vorboten unheilvoller Ereignisse selbst bei Analphabeten weitverbreitet. Es ist ausgeschlossen, dass ausgerechnet ein himmlisches Menetekel die Geburt des Messias ankündigte.
Stille Nacht – und ein Klimawandel
Auch das bekannteste Weihnachtslied «Stille Nacht, heilige Nacht» hat aus heutiger Sicht einen astronomischen Bezug − wenn auch nur indirekt. Der im Salzburgerland wirkende Hilfspfarrer Josef Mohr (1792-1848) hatte den eigenartig schwerblütigen Text bereits im Jahr 1816 als Gedicht in sechs Strophen verfasst. Er trug dieses dann zusammen mit dem befreundeten Lehrer und Kirchenmusiker Franz Xaver Gruber (1787-1863) als lied erstmals an der Christmette 1818 in der Dorfkirche St. Nikolai im kleinen Ort Oberndorf bei Salzburg vor. Wegen der defekten Orgel begleitete Mohr das Lied auf seiner noch heute erhaltenen Gitarre. Aber wohl niemand ahnte, dass dieses eigenwillige Weihnachtslied dereinst ein Welthit würde: «Stille Nacht» gilt heute als immaterielles Weltkulturerbe und ist zweifellos eine der bedeutendsten Kompositionen in der Musikgeschichte.
Wir singen heute zwar nur noch die erste, sechste und zweite Strophe – in dieser Reihenfolge. Und obwohl auch in diesen Texten eine schwermütige Stimmung mitschwingt, deutet vor allem die fünfte Strophe auf die damals sehr belastenden Lebensumstände hin: Das Lied entstand kurz nach den napoleonischen Kriegen mit ihren immensen Schäden an Menschen und Gütern. Und wie wir heute wissen, sorgte der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora 1816 in Mitteleuropa für einen Kälteeinbruch, für das berüchtigte «Jahr ohne Sommer» mit massivsten Ernteausfällen. Schnee im Juni, wochenlange Kälte und anhaltende Regenfälle im Sommer liessen das Getreide auf den Feldern verfaulen und lösten auch bei uns eine massive Hungersnot aus. Die fünfte Strophe nimmt Bezug auf diese vermeintliche «Gottesstrafe» und verspricht bessere Zeiten:
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Lange schon uns bedacht,
Als der Herr vom Grimme befreit,
In der Väter urgrauer Zeit
Aller Welt Schonung verhiess.
Bis heute wurde «Stille Nacht» in 350 Sprachen übersetzt. Die beiden Urheber des Liedes ehrt seit einigen Jahren der Asteroid (65675) Mohr-Gruber, der 1989 vom deutschen Fachastronomen Freimut Börngen (1930-2021) entdeckt und 2004 benannt worden ist. Zur Namensgebung konnte auch ich mit mehreren präzisen Positionsmessungen auf dem Winterthurer Eschenberg beitragen, womit sich in diesem Bericht der Kreis schliesst: Geniessen Sie alle ein frohes Weihnachtsfest!
MARKUS GRIESSER
Zum Autor
Markus Griesser, geboren 1949, ist Gründungsmitglied und langjähriger ehrenamtlicher Leiter der Sternwarte Eschenberg. Der Kommunikationsfachmann hat auf dem Winterthurer Hausberg Tausende von Gästen auf ihrer Reise zu den Sternen begleitet. Seit 1998 beobachtet er mit wissenschaftlichem Anspruch erdnahe Asteroiden und entdeckte nebenbei auch selbst mehrere Kleinplaneten. Die «International Astronomical Union» ehrt seit 1999 mit dem Asteroiden Nummer 11547 den Namen des Schweizer Sternenforschers und vor allem seine verdienstvolle Arbeit für die Wissenschaft.