Um es gleich vorwegzunehmen, es ist das Grossartige an diesem Stück von Jens Nielsen, dass eine individuelle Interpretation jedem einzelnen freigestellt bleibt und auch welche Lehre man für sich daraus ziehen mag. Gemeinsam werden alle diese Sichtweisen jedenfalls haben, dass der Mensch ...
Um es gleich vorwegzunehmen, es ist das Grossartige an diesem Stück von Jens Nielsen, dass eine individuelle Interpretation jedem einzelnen freigestellt bleibt und auch welche Lehre man für sich daraus ziehen mag. Gemeinsam werden alle diese Sichtweisen jedenfalls haben, dass der Mensch ein besserer werden kann. Wenn er denn loslässt.
Wir können höchstens eine Absicht hegen - wie sich die Umsetzung schlussendlich gestaltet, ist nicht mehr an uns. Unter der Regie von Martha Zürcher sucht Peter Hottinger als Durchschnitts-Horst krampfhaft nach seiner Traumfrau. Eine zufällig gefundene Einladung nimmt unser Romantiker zu persönlich und lässt ihn gedanklich verwirbelt und verzückt in den Nachthimmel entschweben. Er wähnt sich der Liebe nahe, doch wer diese Geschichte tatsächlich schreibt, ist ein anderer.
Da steht der Autor als Thorsten auf der Bühne. Er ist Allmacht, Karma, Gott und Gewissen in einem. Thorsten steht als Metapher für den grossen Drehbuchautoren, der den Menschen mit Existenz beschenkt, mit ungeborenen Erinnerungen füllt und auf seinen vorbestimmten Weg schickt. Eine aufgestossene Schranktür steht in dieser «barfüssigen Groteske» sinnbildlich für die Geburt. Der Schrank als Gebärmutter unserer Schicksale und künftigen Begegnungen. Seine Enge in der Vorherbestimmung lässt den Hauptdarsteller ins Bestmögliche hineinwachsen, was ihm sein ordinäres Leben eines Horsts halt zu schenken vermag.
«Ein klug verwobenes Kammerspiel um Selbstgestaltung des eigenen Schicksals.»
Der Drehbuchautor liefert Hintergründe, warum aus Horst nie etwas wurde, keine Frau fand und keine Spuren im Sand der Zeit hinterlässt. Die Fragen nach dem Woher, nach dem Ganzen und wer seine Eltern waren, liefert ihm Thorsten nur bruchstückhaft. Da sind vage Erinnerungen an einen Vater, der sich bei der Familienwanderung in den Abgrund stürzte. An eine Mutter, die ihm, Horst, die Schuld dafür gab und bis heute nicht verzeihen kann.
Das Unausweichliche führt Regie, schreibt das Drehbuch zu unserem Leben. Zu einem Dasein, bei dem wir das Gefühl zu haben glauben, doch irgendetwas beeinflussen zu können. Aber nein. Ein provozierter Fahrradunfall lässt Horst wieder schweben, über den Kreisel und in den Siebten Himmel. Seine ersponnene Traumfrau, der er sich vors Rad wirft, begeht Fahrerflucht. Die Absicht, mit der Unbekannten Kinder zu zeugen, platzt wie der Gummi am Vorderrad.
Das allumspannende Drehbuch schreit «NEIN!» Kein inszenierter Fahrradunfall, keine missverstandene Einladung lindern das unausweichliche Schicksal des ewig Suchenden. Die fehlende Frau bleibt Horts Pest. Epigenetisch überliefert unfähig. Schon Vater und Grossvater taten sich bei der Planung schwer, wie es Thorsten zynisch aufkocht. Aber vielleicht kommt es ja einmal besser. Oder halt doch auch wieder nicht.
«Der Sturm ist eine widerliche Sau!» Horst mag die Dinge einfach. Der Sturm des Lebens ist nichts für ihn. Letzte laue Lüftchen entweichen der Querflöte, gespielt von Christian Käufeler, bevor er abrupt Sturmwinde mit dem Saxophon intoniert.
Töne peitschen Pläne in Fetzen. Das Herz hört auf zu schlagen.
Schwerer Stoff mit leichten Pointen - vom Publikum mit befreitem Kichern dankbar goutiert. «Das Doppel» wird nächstes Mal am 6. September in Winterthur gespielt.
BEAT MORELL