Danke für diesen Fussballsommer!
22.07.2025 SportDie Fussballfrauen-EM findet in diesem Jahr erstmals in der Schweiz statt. Die Stadien sind voll, die Euphorie ist gross. Und die Schweizerinnen haben nachhaltig Eindruck hinterlassen, auch wenn sie am Freitag gegen Spanien im Viertelfinale ausgeschieden sind. Ein persönlicher ...
Die Fussballfrauen-EM findet in diesem Jahr erstmals in der Schweiz statt. Die Stadien sind voll, die Euphorie ist gross. Und die Schweizerinnen haben nachhaltig Eindruck hinterlassen, auch wenn sie am Freitag gegen Spanien im Viertelfinale ausgeschieden sind. Ein persönlicher Turnier- und Stadienbericht.
Die Vorfreude auf diesen Anlass war bei mir im Vorfeld gross. Im eigenen Land eine Fussball-Europameisterschaft zu erleben, das ist immer etwas Grossartiges. 2008, bei der EM der Männer, geschah das noch in Kooperation mit Co-Gastgeber Österreich. Die Fussballfrauen haben wir in diesem Jahr ganz für uns alleine. Und das ist, ehrlich gesagt, ein kleines Sommergeschenk. Die Stimmung ist auf und neben dem Platz einfach toll. Wir lernen über diesen Fussballevent eine ganz neue Art von Völkerverständigung kennen, wie wir sie im Alltag selten erleben.
Fair und überaus harmonisch geht es zu und her – in den Public Viewings genauso wie in den bisher stets ausverkauften Stadien, die einen Zuschauerrekord nach dem anderen brechen. Da sitzen deutsche Fans friedlich neben französischen und spanische neben italienischen. Natürlich freut man sich und leidet mit seinem Team mit, zollt aber auch dem anderen für gelungene Aktionen Respekt. Und man steht für beide Hymnen auf und nicht nur für die eigene. Die Spiele ziehen auch für einmal ein anderes Publikum an – statt Hooligans mit Rauchpetarden sitzen in den Reihen Familien mit ihren Kindern. Der Frauenanteil ist höher, aber es kommen auch erstaunlich viele Männer zu den EM-Spielen. Bisher habe ich vier Spiele live vor Ort im Basler St. Jakob-Park und im Berner Wankdorfstadion gesehen und es war jedes Mal ein Fussballfest.
Frauenfussball gefällt besser
Sicher gab es nach dem Eröffnungsspiel Schweiz–Norwegen organisatorisch ein wenig aufzuholen – zu wenig Züge, zu wenig Toiletten, zu viel Chaos. Doch weder die SBB noch die Veranstalter selbst rechneten wohl mit einem solchen Zulauf. Insgesamt waren 34’063 Zuschauerinnen und Zuschauer beim ersten Auftritt der Schweizer Fussballfrauen in Basel. Eingestellt hatte man sich vermutlich auf ein paar Tausend Fans. Klar waren viele Tickets schon verkauft, doch bei den niedrigen Preisen schmerzt es auch weniger, ein Spiel zu versäumen. Dem war aber dann doch nicht so – die Schweizer Fans kamen in Massen. Und das nicht nur für die Termine ihrer Nationalmannschaft. Sie zeigten auch viel Interesse für alle anderen Partien. Da die Zuschauerzahlen konstant hoch blieben, schalteten die Verantwortlichen schnell um und passten die nötige Infrastruktur der Situation an. Auch das spricht für ein gutes Gastgeberland.
Die anfängliche Kritik tat der famosen «La Ola»-Wellen-Laune auf den Rängen jedoch keinen Abbruch. Denn nicht nur atmosphärisch, sondern auch spielerisch ist diese EM bisher stark. Es gab schon viele Tore, es wird weniger gefoult und die Spielerinnen laufen mehr, statt sich einfach nur bei Müdigkeitserscheinungen zurückfallen zu lassen, wie man das bei anderen männlichen Topspielern beobachten kann. Man konnte sich live davon überzeugen, wie sehr sich die technisch-taktische Leistungsfähigkeit im Frauenfussball in den vergangenen Jahren verbessert hat. Allen Unkenrufen zum Trotz, die ich vor dem Turnier gehört habe – Männerfussball ist dem Frauenfussball überlegen – muss ich deshalb sagen, dass das nicht stimmt. Die Frauen gefallen mir besser. Sie sind kämpferischer, zeigen mehr Spielfreude und werden so zu herausragenden Repräsentatorinnen eines Sports, der bisher leider allzu oft unter dem Radar lief. Sie holen sich hier ihre Anerkennung, die ihnen in der Vergangenheit verwehrt blieb – unterbezahlt, ignoriert, nicht ernst genommen und verspottet. Persönlich bin ich natürlich froh, dass ich für 25 Franken pro Ticket ein Spiel im Stadion sehen kann. Nicht zuletzt deshalb wird die Zugänglichkeit für alle erleichtert und füllen sich die Austragungsstätten. Doch wenn man bedenkt, was analog dazu ein Männer-EM-Ticket kostet, herrscht hier ein enormes Ungleichgewicht. Wird der Männerfussball finanziell – auf allen Ebenen: Ticketing, Sponsoren, Förderung, Lohn – besser gestellt, wird er auch weiter ideell in den Köpfen höher bewertet. Wenn man für ein Männerspiel mehr bezahlen muss, suggeriert man dem Zuschauer damit, dass ihn hier etwas qualitativ Hochwertigeres erwartet.
Sichtbarkeit erhöht
Dass das nicht der Fall ist, haben bei dieser Europameisterschaft fast alle Teams eindrucksvoll bewiesen. Allen voran zeigten aber die Schweizerinnen, dass sie unbedingt mehr gefördert werden sollten. Sie haben gespielt wie Löwinnen, mit Leidenschaft, Feuer und einem festen Willen. Schon bei ihrem ersten Spiel gegen Norwegen waren sie mutig und wagten viel nach vorne. Leider ging der Match am Ende 1:2 verloren, doch die Schweizerinnen haben sich in die Vorrunde zurückgekämpft und konnten das allererste Mal überhaupt an einem grossen Turnier in ein Viertelfinale einziehen. Und wer am letzten Freitag im Berner Wankdorfstadion genau dieses Spiel gegen Spanien gesehen hat, weiss, dass das Schweizer Frauenteam enorm viel geleistet hat. Dass ihnen dort die mit 2:0 siegreichen Spanierinnen, Weltmeisterinnen von 2023, am Schluss sogar Spalier stehen, um dem Team den gebührenden Respekt zu zollen, sagt alles. Nicht nur über ihren Kampfgeist und das enorme Potenzial, das hier vorhanden ist, sondern auch über das Miteinander und das Gemeinschaftsgefühl dieses gesamten Turniers. Die Schweizerinnen haben gezeigt, dass die Vorurteile, die gegenüber dem Frauenfussball in unseren Köpfen vorherrschen, langsam verschwinden.
Nun sind von den 16 angetretenen Nationalmannschaften nur noch vier im Rennen um den Europameistertitel. Im Halbfinale kämpfen heute, Dienstag, in Genf England gegen Italien und am Mittwoch in Zürich Spanien gegen Deutschland um das letzte Weiterkommen. Doch ganz gleich, wer am Ende als Siegerteam aus dem Turnier hervortreten wird, gewonnen haben jetzt schon alle. Die Frauen-EM 2025 in der Schweiz wird nicht nur als ein rein sportliches Festival in die Geschichte eingehen, sondern als eine sozial-kulturelle Zäsur. Sie hat neue Standards definiert für das Fan-Erlebnis, die Nachwuchsförderung, die Sichtbarkeit und den Einfluss des Frauenfussballs in unserem Land. Der Erfolg der Schweizer Nationalmannschaft hat zu einem grossen nationalen Momentum beigetragen – nicht zuletzt auch dank der herausragenden Führung von Spielerinnen wie Lia Wälti und Trainerinnen wie Pia Sundhage. Ich würde deshalb dafür plädieren, fortan nur noch die Schweizerische Frauen-Nationalmannschaft zu internationalen Fussballwettkämpfen zu schicken. Vielleicht gewinnen wir dann sogar einmal ein grosses Turnier.
SARAH STUTTE