Auf Schloss Elgg Gold machen

  20.08.2022 Elgg

Die Mengen, welche derzeit zu den Partys strömen, tun es nicht erstmalig in der Menschheitsgeschichte. In solchen Massen wohl schon. Die Partys früherer Zeiten jedoch lärmten eher an exklusiven Orten und in gehobenen Kreisen. Belegt sind solche lauten Feten ausgerechnet aus dem ehrwürdig gebliebenen und still gewordenen Schloss Elgg.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatten die betuchten Brüder Hans Heinrich und Hans Ludwig Heinzel von Tägernstein, aus der schwäbischen Reichsstadt Augsburg stammend, die Herrschaft Elgg gekauft. Die reichen deutschen Stadtbürger waren in die Schweiz gezogen, um hier als Schloss- und Gerichtsherren das Leben auf einer «höheren Stufe» zu führen.

Das flotte Leben der Reichen und Schönen

Mit dem Einzug der neuen Besitzer beginnt in Elgg ein herrliches und fröhliches Leben. Besuch folgt auf Besuch, Fest reiht sich an Fest. Das Schloss Elgg wird zum Treffpunkt der Reichen und Schönen. Die neuen Gerichtsherren finden als smarte Junker keine Zeit, sich mit alltäglichen Dingen zu beschäftigen. Im Schloss Elgg wird der letzte Schrei der Zeit, die Alchemie zum Fascinosum. Der Aberglaube verspricht, auf geheimnisvolle Weise Gold herzustellen. Das «Erforschen und Goldmachen» ist nicht anstrengend, vielmehr angenehm und vor allem lohnend. Nun stellen sich die Praktikanten der schwarzen Kunst zahlreich bei den Heinzels ein. Ihr Versprechen ist nicht kleinlich: Gold im Überfluss. Auserlesene Gäste aus nah und fern versammeln sich in dieser aufregenden Zeit gerne in elitärer Umgebung, erhöht über dem biederen Flecken. So wird das Schloss Elgg zum Zentrum der Alchemie in der Schweiz, zum Mittelpunkt der zur Mode gewordenen Goldmacherkünste und ihren Folgeerscheinungen.
Denn es mischen sich zu den lockeren und amüsanten Zusammenkünften der abgehobenen Junker auch miese Betrüger und verdeckte Scharlatane – zwei Deutsche namens Wasserhuhn und Probst, die Glarner Freuler und Bäldi sowie der Schaffhauser Oechslin. Sie vermögen die Heinzel davon zu überzeugen, dass sie es verstünden, aus alltäglichen Materialien Gold herzustellen. Da die wundervolle Produktion freilich ohne Kredite nicht machbar sei, verlangen sie hohe Summen für die «Forschung». Die Heinzel nicken zu und entlehnen von ihren Geldgebern namhafte Summen. Die Verblendeten lassen sich einlullen und betrügen. Ihr flott geführtes Leben verschlingt grosse Summen, ihre Schuldenberge wachsen.

Der Zürcher Alchemist aus Frauenfeld

Unter den verschiedensten Anbietern der Goldmacherei auf Schloss Elgg gibt es aber nicht nur Scharlatane, Hochstapler und Betrüger, sondern auch ernsthafte Gelehrte und Namen von Rang. Zu ihnen gehört Raphael Egli, der am 20. August 1622 – also exakt vor 400 Jahren – im hessischen Marburg an der Lahn als Schlossprediger und Theologieprofessor verstirbt. Der aus dem thurgauischen Neunforn stammende, in eine Frauenfelder Pfarrfamilie Hineingeborene, jedoch mit ihr von dort Vertriebene, wird nach seinen Studien zunächst Lehrer im Veltlin. Als erneut Vertriebener erklimmt er in Zürich die Leiter der Kirchenämter und der theologischen Wissenschaft. Sein nachhaltigster Erfolg beschert dem Thurgauer ein Gutachten an den Rat in Zürich, im Gottesdienst den Gemeindegesang wieder einzuführen. Dieser war in Zürich und in seinem weitreichenden Einflussgebiet seit Zwinglis Reformation sistiert. Der Bericht verfehlt seine Wirkung nicht.
Aber ausgerechnet als das Singen wieder eingeführt werden sollte, muss der auf Schloss Elgg bestens bekannte Egli, wegen alchemistischer Verstrickungen und Verschuldungen, erneut das Land für immer verlassen. Seine theoretischen Ansichten und Praktiken, die Spekulationen über die Herstellung von Gold und anderen aussergewöhnlichen Produkten, wirken auf die besorgte Obrigkeit verwirrend, zersetzend und unheimlich. Der Widerstand gegen Egli wächst in Zürich derart, dass er emigrieren muss. Im hessischen Marburg jedoch erwächst ihm der Landesfürst zum erstaunlichen Retter, der ihn mit einer theologischen Professur beehrt und mit der Anstellung als Schlossprediger auszeichnet.
Erhalten geblieben sind in der Schweiz von Eglis Werken die «Sammlung von Psalmen und Kirchengesängen» und ein Verzeichnis seiner zahlreichen lateinischen und deutschen Schriften. Johann Adam Pupikofer, der Altmeister thurgauischer Geschichtsschreibung, setzt in der Beschreibung des Kantons Thurgau von 1837 beide Neunforner Egli, Raphael und dessen Vater Tobias, den Frauenfelder Pfarrer, auf die kurz gehaltene Liste «Thurgauische Gelehrte und Künstler». Und Hans Brauchli schiebt beide Aussergewöhnlichen in seine «Thurgauer Ahnengalerie».

Der Denker von Format

Noch ein Zweiter besucht in jenen aufregenden Zeiten, vermutlich im Jahre 1591, das Schloss Elgg: Giordano Bruno (1548-1600). Ihm wird als aussergewöhnlicher Denker das Format von europäischer Grösse nachgesagt. Schon in Zürich begegnet er seinem Geistesverwandten Raphael Egli im Zwielicht von Alchemie und Theologie. Ihm widmet er als Mitverehrer des grossen griechischen Vordenkers Aristoteles ein Handbuch aristotelischer Begriffe: «Summa terminorum metaphysicorum, Tiguri». Welche Dienste Bruno den Schlossherren Heinzel geleistet hat, wissen wir nicht. Sie dürften sich eher auf der theoretischen Schiene bewegt haben. Aber ganz erfolglos scheint sein Aufenthalt in Elgg nicht gewesen zu sein. Denn Bruno wurde von den Heinzels so reichlich belohnt, dass es ihm möglich wurde, ein fertiges Manuskript zum Abdruck nach Frankfurt zurückzusenden. Es war sein Hauptwerk: «De Imaginum, Signorum et Idearum Compositione» (Komposition der Bilder, Zeichen und Vorstellungen), das er vor allem Johann Heinrich «Ad illustrem et generosis Joan Hainricum Haincellium Elcouiae Dominum» widmet, um so für die Generosität des Herrn von Elggöw ein ewiges Zeugnis zu errichten.
Obwohl geweihter Priester und Dominikanermönch, bringt Bruno seine Beschäftigung mit Philosophie und Naturwissenschaft in Gegensatz zum offiziellen Christentum. Mit 17 Jahren war er in den Dominikanerorden eingetreten. Als er die Priesterweihe erhält, hat er schon Zweifel an etlichen katholischen Glaubensinhalten. Er verlässt den Orden und nimmt eine philosophische Wanderexistenz auf, die ihn durch eine Vielzahl von Stationen in ganz Europa führt. Er findet Anstellungen in Toulouse, Paris, London, Wittenberg, Prag und weiteren Orten, schafft sich aber mit seiner heftigen Kritik an christlichen Dogmen überall schnell Feinde und muss immer wieder weiterziehen. Die Calvinisten in Genf als auch die Lutheraner in Wittenberg exkommunizieren den kritischen Geist. Am Ort seiner Hinrichtung, dem Campo dei Fiori, errichtet die Stadt Rom ein Denkmal. Aber erst im Jahr 2000 erklärt eine theologische Kommission des Vatikans die Hinrichtung für Unrecht. Giordano Bruno postuliert die Unendlichkeit des Weltraums und stellt sich damit der Lehre einer geozentrischen Welt entgegen. Schwerer aber wiegt, dass er die Personalität Gottes infrage stellt und eine pantheistische Anschauung vertrat. Gott ist für ihn nicht ausserhalb, sondern in der Welt – identisch mit der Natur. Daraus folgt für ihn, dass der Mensch nicht nach der Erkenntnis eines übernatürlichen Wesens, sondern nach derjenigen der Natur streben müsse.
Raphael Egli und Giordano Bruno haben sich auf unorthodoxe Grenzgebiete eingelassen und ihre Ansichten öffentlich kundgetan. Beide haben dafür einen hohen Preis bezahlt: Ersterer «nur» den Preis des Verlustes der Bleibe im geliebten Zürich und der Emigration ins Ausland; Letzterer jedoch den Preis des Verlustes seines Lebens.
Aber auch die rauschendsten Partys, sowohl das Treiben der Gauner als auch das ernsthafteste Bemühen der Alchemisten auf Schloss Elgg, müssen ein Ende haben. Denn es nähern sich den festenden und nachforschenden Junkern die Gläubiger aus dem Bündner-, Glarner- und Baslerland. Mit Ross und Wagen fahren sie zunächst durch die Tore des Städtchens und lassen es sich in den Gasthöfen gut sein. Aber ihre Schuldscheine gelten weder in den niederen Dorfbeizen noch im hohen Schloss etwas. Erst die amtliche Untersuchung in Zürich klärt und bestimmt: Magdalena Neidhart, die Schwiegermutter eines Heinzel-Junkers, bezahlt die Forderungen und der neue Schlossherr heisst ab sofort Bonaventura von Bodeck.

MARKUS SCHÄR


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