Als Austauschstudentin in Aadorf
08.02.2022 AadorfEine Austauschstudentin aus Thailand in der Schweiz ist eher die Ausnahme. Die 16-jährige Thailänderin Supapitch Laisakul ist eine davon.
Sie ist noch sehr jung, mit einer Köpergrösse von eineinhalb Metern zierlich und angenehm im Umgang. Laisakul besucht derzeit eine zweite Klasse an der Kantonsschule Wil. Nach dem Besuch der zehnjährigen Grundschule im südthailändischen Phangnaga meldete sie sich für ein Auslandjahr bei der Organisation «Youth For Understanding» (YFU). Zu ihrer engeren Auswahl gehörten die USA, Japan und die Schweiz, die sie bisher nur von Bildern her kannte. Erwartungsvoll entschied sich das Mädchen für das kleine europäische Land, um dort Deutsch zu lernen. Ein mutiger Entscheid. Nebst ihrer Muttersprache Thai beherrschte sie recht gut Englisch und ein wenig Chinesisch, verstand aber damals noch kein Wort Deutsch.
Über die genannte Nonprofit-Organisation YFU, die weltweit Gastgeberfamilien sucht, wofür ein Bett und drei Mahlzeiten Voraussetzung sind, gelangte sie am vergangenen 13. August in den verschlafenen thurgauischen Weiler Stehrenberg. «Leider wollte es mit der Gastgeberfamilie nicht so ganz passen: Die etwas barsche Stimme des ‹Hostfather› war für mich ungewohnt, ein hörbarer Unterschied zum Singsang meiner Muttersprache. Vielleicht kam noch etwas Heimweh dazu. Dies führte anfangs Januar zu meiner Umplatzierung nach Aadorf, von wo ich weiterhin die gleiche Klasse in Wil besuchen kann», sagt das Mädchen mit leiser Stimme.
Bereits nach vier Monaten Aufenthalt beherrscht die Schülerin die deutsche Schriftsprache jedoch so gut, dass einem Interview keine sprachliche Hürde gesetzt war. Willig beantwortet sie die Fragen:
Einschneidender Lebensabschnitt
FRAGE: WIE WAR DEIN ERSTER EINDRUCK NACH DEINER ANKUNFT IN DER FREMDEN SCHWEIZ?
Antwort: Ich war überrascht, wie klein das Dorf mit nur wenigen Häusern war, wohin ich mich versetzt sah. Etwas langweilig war es dort ebenfalls. Eindruck machten mir die gepflegte und saubere Landschaft und die Pünktlichkeit des öffentlichen Verkehrs. Schnee und Kälte kannte ich bisher nicht. Dass ich ohne Uniform in die Schule gehen konnte, war neu, doch sehr angenehm. Ungewohnt für mich ist auch das unterschiedliche Aussehen der Leute, vor allem hinsichtlich Haar- und Hautfarbe sowie der Körpergrösse. Eine Vielfalt, die es in meinem Heimatland nicht gibt.
WIE WAREN DIE LEUTE?
Von reserviert bis hilfsbereit und höflich. Einmal verirrte ich mich in der Nähe Weinfeldens, doch half mir ein freundliches Ehepaar, zeigte mir den Weg und half mir mich zurechtzufinden.
UND WIE IST ES MIT DEM ESSEN?
Die YFU empfahl in ihren Richtlinien, alles zu probieren. Das mache ich. ich vermisse zwar Seafood, doch mag ich auch Spaghetti und den Käse, den es in dieser Vielfalt in Thailand nicht gibt. Raclette und Würste mag ich ebenfalls.
Keine wirklich günstige Sache
APROPOS ORGANISATION: WAS IST MIT DEN «FEES» (SCHULGELD)?
Für Flug, Versicherung und Administration erhielt die YFU 13’000 Franken. Sackgeld ist Sache der AustAuschschülerin. Schulgeld an die Kanti Wil muss nicht geleistet werden.
«Die Gastgeberfamilie bekommt nichts», ergänzt die «Hostmother» Elisabeth Eberhard, Mutter zweier Kinder, 15- und 19-jährig. Ein Hinweis, der doch erstaunlich anmutet.
EIN AUFENTHALT IST ALSO RECHT TEUER. WOHL NICHT FÜR JEDE THAILÄNDISCHE FAMILIE ERSCHWINGLICH?
Das stimmt. Doch ich stamme aus einer Mittelstandsschicht. Meine beiden Elternteile sind im Gesundheitsbereich tätig und ich bin ein einzelkind. Die Schweiz darf ich nicht verlassen während des Aufenthaltsjahres. Ein monatliches Treffen im Inland mit anderen YFU-Austauschstudierenden und ein jährliches Lager gehören zum Programm.
UND DEINE FREIZEITBESCHÄFTIGUNGEN SOWIE ZUKUNFTSPLÄNE?
Ich lese gern und viel, liebe Filme. Dazu kommt das Zeichnen. (Und sogleich holt die Gastmutter eine Zeichnung ihrer Hauskatze, von Laisakul gekonnt zu Papier gebracht.)
BESCHÄFTIGEN DICH RELIGION UND POLITIK?
Im Buddhismus ist man ziemlich frei. Ich gehe hie und da in den Tempel und bringe den Mönchen zu essen. Was die Politik anbetrifft, so rede ich lieber nicht über dieses Thema. Mit der Herrschaft der neuen Regierung und dem neuen König, bekannt für seine Eskapaden, bin ich nicht einverstanden. Später möchte ich ein Studium mit noch unbestimmter fachlicher Ausrichtung in Angriff nehmen.
TEXT UND INTERVIEW: KURT LICHTENSTEIGER