«Alle Massnahmen, die wir treffen, haben Konsequenzen»
01.04.2025 AadorfEines der gefassten Legislaturziele des Aadorfer Gemeinderats, ist die Erarbeitung und Umsetzung eines Verkehrskonzepts. Noch steht das Konzept nicht, aber dass es grossflächige Tempo- 30-Zonen beinhalten wird, steht fest.
Der vergangene Mittwochabend stand ganz im ...
Eines der gefassten Legislaturziele des Aadorfer Gemeinderats, ist die Erarbeitung und Umsetzung eines Verkehrskonzepts. Noch steht das Konzept nicht, aber dass es grossflächige Tempo- 30-Zonen beinhalten wird, steht fest.
Der vergangene Mittwochabend stand ganz im Zeichen der Mobilität, so fanden im Gemeindehaus gleichzeitig zwei Anlässe rund um Verkehr und Verkehrswege statt und ein dritter, wie ÖV-Tickets via Smartphone gelöst werden, im Lern-Loft-Treff. Allesamt interessante Themen, die Entscheidung dürfte dem einen oder anderen nicht einfach gefallen sein.
Auf reges Interesse stiess das Referat von Thomas Buhl, Geschäftsleiter des Ingenieurbüros Widmer in Frauenfeld. Die Ingenieure beraten und begleiten viele Gemeinden bei der Erstellung und Umsetzung von Verkehrskonzepten und der Einführung von Tempo-30-Zonen. Einleitend zeigte Buhl eine Kurve, die verdeutlichte, um wieviel der Bremsweg bis zum Stillstand des Fahrzeugs variiert: Steht ein Auto mit 50 Stundenkilometern nach über 40 Metern still, sind es bei 30 etwas über 21 – ein frappanter Unterschied, der im äussersten Fall Leben retten kann. Eine weitere Statistik zeigte, dass 70 Prozent der Kollisionen mit Tempo 50 tödlich enden, in einer temporeduzierten Strasse jedoch «nur» in 10 Prozent der Fälle. «Das zeigt, dass jeder Stundenkilometer, der langsamer gefahren wird, die Überlebenschance des Fussgängers massiv erhöht», untermauerte der Fachmann die Aussage. Zusammengefasst seien die Vorteile generell eine Erhöhung der Verkehrssicherheit aller, im Speziellen jedoch eine Verbesserung der Schulwegsicherheit. Ausserdem profitiere die Lebens- und Wohnqualität in den Quartieren, weil Lärm- und Abgasemissionen vermindert würden.
Voraussetzungen und Massnahmen für Tempo 30
Damit in einer Gemeinde Tempo-30-Zonen errichtet werden können, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt werden. So unterscheidet der Kanton zwischen «Nicht verkehrsorientierten und verkehrsorientierten Strassen». Für die ersteren (meist Quartier- und Nebenstrassen), reicht eine vereinfachte Begründung. Für die verkehrsorientierten, die Hauptverkehrsachsen einer Ortschaft, ist ein Gutachten mit Auflistung der Gründe notwendig. Wird die Geschwindigkeit auf einer Strasse beschränkt, muss sie gewisse Merkmale aufweisen: «Sie muss durch Eingangstore klar als Tempo-30-Strasse erkennbar sein, es herrscht generell Rechtsvortritt und sie hat keine Fussgängerstreifen.» Besonders der Punkt «Eingangstor» barg einiges an Diskussionsbedarf, so wurde der Betonklotz an der Rietstrasse eher als Sicherheitsrisiko, denn als Sicherheitsgarantie wahrgenommen. Ob anstelle von baulichen Massnahmen Radarkontrollen und Bussen zur Einhaltung das probatere Mittel wären, liege im Ermessen des Kantons und nicht in jenem der Gemeinde oder der Planungsingenieure, bedauerte Buhl eine entsprechende Anfrage aus dem Publikum.
Eine wichtige Voraussetzung für einschneidende Anpassungen des Strassenraums ist der sogenannte «V85». Dieser Wert bezeichnet die Geschwindigkeit, die von 85 Prozent der Fahrzeuge auf einer bestimmten Strecke nicht überschritten wird. Der V85-Wert ist eine anerkannte verkehrstechnische Kenngrösse. «Im Kanton Thurgau wurde der Wert auf 43 Stundenkilometer festgelegt. Liegt der V85 über 43, dann braucht es zwingend flankierende bauliche Massnahmen, wie etwa Berliner Kissen», erklärte Buhl den zentralen Richtwert.
Markante Geschwindigkeitsreduktion
Auf dem Gemeindegebiet Aadorfs bestehen seit längerem grössere Tempo- 30-Zonen: Das Gebiet östlich der Schützenstrasse, Teile Guntershausens und Ettenhausens sowie Aawangen und in Häuslenen. Noch keine temporeduzierten Zonen weisen Wittenwil und Weiern auf – beide sind jedoch zurzeit in Planung respektive in der Umsetzung, mehr oder weniger fortgeschritten. Durch die Strassensanierung in Weiern habe sich die Lage aufgrund eingebauter Elemente bereits so gesenkt, dass die Reduktion beim Kanton zur Vorprüfung eingegeben werden könne. In Wittenwil würden demnächst erste Messungen durchgeführt.
Dass die Beruhigung Wirkung zeige, beweisen die verdeckten Messungen nach Einführung von Tempo 30: «An der Aadorfer Rietstrasse ist der V85 von 48 auf 31/30 gesunken, an der Weidlistrasse in Ettenhausen ging die Geschwindigkeit von 58 auf 36 zurück. Abschliessend erklärte Buhl den komplexen Verfahrensprozess vom Wunsch bis zur tatsächlichen Einführung – eine Folie, die Fragen aufwarf, wie jene, wie ein Bedürfnis formuliert und an wen dieses gerichtet werden müsse. «Der übliche Weg ist über die Gemeinde zum Beispiel mit einer Anfrage oder einer Unterschriftensammlung. Die Behörde prüft das Anliegen und stellt beim Kanton einen Antrag.»
Fokus Verkehrskonzept
Danach führte Gemeindepräsident Matthias Küng die geplanten Schritte aus. Er erklärte, dass eines der Legislaturziele sei, ein griffiges flächendeckendes Verkehrskonzept zu erarbeiten; das Budget dafür sei gesprochen. In Kürze werde eine Arbeitsgruppe mit verschiedenen Interessensgruppen gebildet. «Ziel ist es, das Konzept bis Ende Jahr der Bevölkerung vorzustellen und im nächsten oder spätestens übernächsten Jahr erste Massnahmen umzusetzen.» Ausschlaggebend seien die Bahnhof- und die Morgentalstrasse: «Die Bahnhofstrasse wird neugestaltet. Aber alles, was wir dort machen, hat Auswirkungen auf den gesamten Verkehrsfluss in Aadorf. Es generiert vielleicht Ausweichverkehr in der Châtelstrasse oder die Schützenstrasse wird überlastet. Die ist zwar dafür ausgebaut, ist aber auch ein Teil des Schulwegs zum Schulhaus Löhracker. Wir müssen uns bewusst sein, dass alle Massnahmen Konsequenzen nach sich ziehen.» Beliebt als Abkürzung sei auch die Wiesentalstrasse, warf jemand aus dem Saal ein. Küng erwiderte, dass deshalb ein flächendeckendes Konzept unabdingbar sei, in das sämtliche Strassen einbezogen würden, auch das Gebiet rund um die Hauptstrasse oder das Unterdorf. Die Bevölkerung empfinde die gefahrene Geschwindigkeit oft schneller, als diese tatsächlich sei: An der Châtelstrasse habe man mehrmals gemessen, ohne dass dabei der V85-Wert überschritten worden sei.
Die angeregten Fragen und Diskussionen zu einem sinnvollen Gschwindigkeitsregime zeigten einmal mehr, dass Verkehr ein emotionales Thema ist. Die Forderung, man müsse Autofahrer erziehen, wurde von Küng relativiert: «Man muss alle Verkehrsteilnehmenden erziehen, es geht nicht nur um Autofahrer. Im Verkehr sind wir sehr intolerant und bewegen uns in (zeitlich) festgefahrenen Mustern. Am Schluss ist jeder für seine Mobilität selbst verantwortlich. Wir als Behörde können nur Massnahmen treffen.»
MARIANNE BURGENER