Abschied zwischen Schmerz und Stärke
08.11.2025 ElggWie umgehen mit dem Verlust von Gesundheit, mit Abschied und Neuanfang? Am letzten Blickwechselabend in diesem Jahr im Müli-Bistro teilten Betroffene bewegende Erfahrungen – offen, berührend und erstaunlich hoffnungsvoll.
Das Müli-Bistro ist ein Ort für Genuss, ...
Wie umgehen mit dem Verlust von Gesundheit, mit Abschied und Neuanfang? Am letzten Blickwechselabend in diesem Jahr im Müli-Bistro teilten Betroffene bewegende Erfahrungen – offen, berührend und erstaunlich hoffnungsvoll.
Das Müli-Bistro ist ein Ort für Genuss, Spass und Geselligkeit – aber ebenso für tiefgründige Begegnungen. Für die letzte Blickwechsel-Veranstaltung des Jahres lud Angebotsleiterin und Vorstandsmitglied des Vereins Rundum Müli, Nina Kuhn, zum Thema Abschied ins Bistro ein. Gemeinsam mit Johanna Breidenbach, Pfarrerin der reformierten Kirche Eulachtal, führte sie mit viel Feingefühl durch den Abend. In den bisherigen Gesprächsrunden standen der Abschied von den älter werdenden Eltern und der Übergang in den Ruhestand im Mittelpunkt. Diesmal – unter dem Titel «Wenn das Bein nicht mehr tanzt» – ging es um den oft schleichenden Verlust der (eigenen) Gesundheit.
Schon in der emotionalen Vorstellungsrunde zeigte sich, wie persönlich dieses Thema berührt. Manche Gäste waren aus Neugier gekommen, andere in der Hoffnung auf neue Kontakte. Eine Teilnehmerin machte auf jene aufmerksam, die mit chronischen Erkrankungen leben und in der Gesellschaft kaum eine Stimme haben. Es folgten offene und ehrliche Einblicke in das, was Menschen bewegt; in Diagnosen schwerer Krankheiten, in Tabuthemen wie postpartale Depression und in Herausforderungen an Beziehungen, wenn es dem Partner zusehends schlechter geht. Die beiden Moderatorinnen bedankten sich für die Fülle an Beweggründen, die zum Mitdiskutieren motiviert hatten. Als Metapher diente der Zweig einer Hagrose; er stehe für das Leben, die Dorne für all jenes, das nicht mehr möglich sei.
Die Phasen des Trauerprozesses
Die Verarbeitung von Verlust und Abschieden folgt stets einem ähnlichen Prozess. Trauer verläuft nicht linear, sondern in Wellen, die sich abwechseln und wiederholen können. Typische Phasen sind das Nicht-Wahrhaben-Wollen, das Verdrängen oder Leugnen. Danach manifestieren sich Gefühle wie Wut, Schuld, Angst oder gar Verzweiflung. Erst nach und nach setzt Akzeptanz ein und eröffnet schliesslich mit der Integration des Verlusts ins eigene Leben neue Perspektiven. Dass alles eine Frage der Sichtweise ist, wurde mehrmals genannt an diesem Abend – und nahm damit den Titel der Veranstaltungsreihe «Blickwechsel» auf. Pfarrerin Breidenbach fragte in die Runde, was uns denn helfe, wenn es uns schlecht gehe. Vieles wurde genannt: Mit jemandem darüber reden, Gesellschaft oder Meditation, allein oder zu zweit. Gerade letzteres helfe, bewusst das Positive wahrzunehmen und es in die gewünschte Richtung zu lenken. Eine Teilnehmerin erzählte, dass über ihrem Bett der Spruch hängt: «Am Abend zeigt der Maler dem Himmel sein Bild.» Eine Aufforderung, den Tag noch einmal Revue passieren zu lassen – und das Bild sei nicht immer schön.
Der Mensch ist so viel mehr als eine Diagnose
Wir würden dazu neigen, davon auszugehen, dass schlechte Nachrichten nie uns betreffen – aber es treffe nicht immer nur die anderen. Wir müssten das eigene «Schlechtgehen» anerkennen. «Normal ist nicht, dass wir einfach gesund sind. Normal ist eher, dass wir mehr oder weniger krank sind. Das ergibt eine ganz andere Erwartung und es wird natürlich, dass es auch einen selbst treffen kann.» «Warum arbeiten wir nur, sind ständig im Gehetze und rennen durchs Leben? Wir sprechen dauernd von Gesundheit, aber warum begreifen wir nicht, dass wir sie einfach geniessen müssen», fragte jemand. Eine Frau, die vor vielen Jahren eine Krebsdiagnose erhalten hatte, erzählte, dass es seither für sie «ein Davor und Danach» gebe: «Krebs war ein Geschenk in einer entsetzlichen Verpackung. Ich bin gestärkt aus dieser schlimmen Zeit hervorgegangen. Heute wehre ich mich und lege meinen Standpunkt dar, auch wenn es unangenehm ist. Das habe ich vorher nie gemacht, ich habe der Harmonie zuliebe alles geschluckt.» Die Runde war sich einig: «Der Mensch ist so viel mehr als eine Diagnose.»
Aushalten – ein weiterer Begriff, der im Zentrum stand. Nicht nur Direktbetroffene hätten viel auszuhalten, auch ihre Angehörigen. Wutausbrüche, Unsicherheiten und Ängste. Dagegen spende ein starker Glaube Halt und Trost – oder einfach jemand, der zuversichtlich sei. «Es chunnt scho guet», habe der Ehemann nach einem Unfall seiner Frau versprochen; und tatsächlich, er hat sich zurückgekämpft und kann heute wieder gehen: «Bewegt euch, lauft, tut es jeden Tag. Ich bin 15 Kilometer gegangen heute und die Gelenke sind wie neu», beschrieb er seinen persönlichen Sieg.
Ziehen lassen, freigeben und eine ehrliche Antwort
«Habe ich in meinem Leben das gemacht, was ich wirklich wollte, oder habe ich nur den Wünschen anderer entsprochen?» – Gedanken, die wohl die meisten ab und zu umtreiben. Ihre Bedeutung nimmt im Alter oder angesichts einer Krankheitsdiagnose zu. Eine der meisten Fragen, die wir einer Floskel ähnlich gewohnheitsmässig stellen ist: «Wie geht es dir?» – doch erwarten wir darauf wirklich eine Antwort? Eine Mutter, die lange unter einer postpartalen Depressionen gelitten hat, nach wie vor ein grosses Tabuthema, sagt heute: «Ich erkundige mich nur noch dann nach dem Befinden des Gegenübers, wenn ich auch sicher Zeit für die Antwort bei einem gemeinsamen Kaffee habe.»
Es war eine sehr emotionale Gesprächsrunde; es flossen Tränen, es wurde herzhaft gelacht. Viel Trauriges und ebenso Mut-machendes wurde gesagt. Dem Anspruch, diese geballte Ladung an Gefühlen, tiefen Einblicken in Schicksale, an Bürden, die manche zu tragen haben, kann ein Zeitungsbericht, der vielleicht nur kurz oder gar nicht beachtet wird, auf keinen Fall Rechnung tragen.
Der Abend endete ohne einfache Antworten, aber mit vielen leisen Einsichten. Es ging ums Aushalten, ums Loslassen und ums Weitergehen – auch wenn der Weg manchmal schwerfällt. «Vielleicht muss man sich von einigen Träumen verabschieden und sie gehen lassen. Andere bleiben, die sollte man weiterverfolgen», fasste eine Teilnehmerin zusammen. Ein Satz, der wohl allen noch lange im Gedächtnis bleiben wird: Abschied bedeutet nicht nur Verlust, sondern auch die Chance, Neues zu entdecken, innezuhalten und das Leben bewusst zu gestalten.
MARIANNE BURGENER
Zusätzliche Informationen zum Thema Abschied
Unterstützende und trostspendende Literatur finden Interessierte im Büecherchorb Aadorf oder unter
www.buecherchorb.ch
2026 wird es drei weitere Gesprächsabende mit dem Fokus «Abschied» geben – die Daten werden über diverse Kanäle bekannt gegeben.

