Herbstzeiıt ıst Lesezeiıt
15.11.2025Ob im kuscheligen Sessel oder auf dem Sofa – der Herbst bietet die perfekte Gelegenheit, in Geschichten einzutauchen. Auch wir in der Redaktion greifen ab und zu zum Buch. Eines davon stellen wir Ihnen hier vor. Und Sie? Welches Buch begleitet Sie gerade? Schreiben Sie uns!
...Ob im kuscheligen Sessel oder auf dem Sofa – der Herbst bietet die perfekte Gelegenheit, in Geschichten einzutauchen. Auch wir in der Redaktion greifen ab und zu zum Buch. Eines davon stellen wir Ihnen hier vor. Und Sie? Welches Buch begleitet Sie gerade? Schreiben Sie uns!
Lázár
VON NELIO BIEDERMANN
Der Roman «Lázár» des Schweizers Nelio Biedermann erschien diesen Herbst und schlug sofort ein. Von den Kritiken wird er mit stürmischer Begeisterung gelobt. Der 22-jährige Jungautor wird sogar als «neuer Zauberer» (Thomas Mann) bezeichnet. Mann war 26 Jahre alt, als 1901 die Erstausgabe von «Buddenbrooks» veröffentlicht wurde. 1929 erhielt er dafür den Literaturnobelpreis als «Klassiker der – damaligen – Gegenwart». Biedermanns historischer Roman soll in 20 Sprachen übersetzt werden und eroberte die Bestsellerlisten.
Doch warum? Das Buch ist zweifelsfrei gut, flüssig, spannend und trotzdem anspruchsvoll geschrieben. Der junge Autor hat seine Sprache offensichtlich an den alten Meistern geschult – die Liebe zur Literatur wird auch sichtbar, weil verschiedene Figuren im Roman eines der bekannten Werke lesen. Biedermann scheut komplexe Sätze, starke Bilder, farbenfrohe Beschreibungen und Vergleiche nicht.
Überraschen mag dies vor allem, weil er noch so jung ist. Gleichzeitig sorgt genau seine Jugend für Lob und Hoffnung. Verlockend ist auch das Thema: Stoff, aus dem die Träume und Alpträume sind. Der 2003 Geborene erzählt die Geschichte einer ungarischen Adelsfamilie während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – eine Zeit, geprägt von Krieg und grossen politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen und Umbrüchen. Und natürlich werden wir beim Eintauchen in die Vergangenheit an heutige Geschehnisse, Situationen und Gefühle erinnert: Abstiegsängste, Unsicherheiten, Instabilität, wirtschaftliche Sorgen, zunehmende Ungleichheiten, Extremismus, Spaltung, Kriege, Vertreibung und Migrationsbewegungen.
Wirkungsvolle Zutaten und grosse Spannung
Die Geschichte ist – gespickt mit viel Fantasie – auch die Geschichte eines Teils der Vorfahren des Autors, die ihm als Inspirationsquelle dienten, und erstreckt sich über drei Generationen hinweg. Sie handelt vom Alltag in einem Schloss, durch zwei Kriege bis zum Ungarnaufstand von 1956 und der Flucht in die Schweiz. Man fühlt, leidet, bangt, trauert, liebt und hofft mit den einzelnen, charakterstarken Personen mit, die überzeugend gezeichnet sind und gewaltig nachwirken. Das Rezept Familiensaga enthält wirkungsvolle Zutaten: Adel, Sehnsucht, Liebe, Leidenschaft, Gewalt, Kriege, Flucht und Wahnsinn.
Man darf hoffen, dass wir von Nelio Biedermann noch viel zu lesen bekommen werden. Mir persönlich gefällt die Sprache; hier wagt sich jemand an kunstvolle Satzstrukturen und mutet und traut dem Leser, der Leserin etwas zu, fordert sie. Dabei ist der «Zauberlehrling» im Vergleich zum «Zauberer» gnädig mit seinem Publikum. Der junge Thomas Mann wurde vom Lektorat aufgefordert, den «Buddenbrooks»-Text massiv zu kürzen, was er aber ablehnte.
Spannung wird auch durch das Tempo erzeugt. Obwohl: Ich persönlich hätte mir für jede Generation ein eigenes Buch gewünscht, bestenfalls ein umfangreiches – nur schon, um die liebgewonnenen Menschen in der Geschichte besser kennenzulernen. Streckenweise allzu eilig rast Biedermann mit der Handlung durch die Zeit. Und dann ein Werk, das im heutigen, ebenfalls turbulenten Zeitgeschehen angesiedelt ist.
Wie auch immer man das alles sieht: Es lohnt sich auf jeden Fall, das Buch zu lesen; die Zeit auf dem Sofa verfliegt fast so schnell wie die Jahrzehnte im Roman.
BETTINA STICHER
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