Der grosse Regen

VON FELIX SCHRÖTER

Es regnete schon seit Tagen, und eigentlich wäre es doch Frühsommer. Aber es sah aus wie November, alles grau und tropfnass. Der Müllbach, langweiliges Rinnsal für gewöhnlich, schwoll an, als wollte er dem alten Rhein Konkurrenz machen. Und das gelang ihm so gut, dass er sein Bett spielend verliess und tat, was man von ihm überhaupt nicht erwartet hatte: Er trat über die Ufer, machte die Hauptstrasse von Güetighusen zu seinem neuen Zuhause, schob allerlei Geröll und was ihm sonst noch in die Quere kam vor sich her, liess Türen der Wohnhäuser krachen, eroberte da einen Keller und dort eine Werkstatt.

Noch vor Tagen hätte er jeden für verrückt erklärt, der ihm diese reisserische Zukunft vorausgesagt hätte. Ausgerechnet er, der unscheinbare Müllbach, der sonst gemächlich vor sich hinfloss und den die Güetighusener kaum beachteten, polterte nun überall an die Türen, zwängte sich in alle Ritzen, riss Autos mit sich, sorgte für Stromausfälle, spielte sich auf wie einer, der nichts und niemanden fürchtete. Ja, er fand Gefallen an seiner Rolle als Wasserschreck. Blitz und Donner waren seine Begleitmusik, sein Hintergrundorchester.
Alle drei heizten den Dörflern so tüchtig ein, dass ihnen Schreck und Angst in die Knochen fuhren. Vorbei war die Zeit der Sprücheklopfer, die all das Gerede um die Klimaerwärmung für Schwachsinn hielten. Jetzt, wo den Frauen und Männern buchstäblich die Felle davonschwammen. Jetzt, wo niemand wusste, welche Plagen der Müllbach noch auf Lager hatte, ob sie bald elendiglich ersaufen würden oder ob sie auf die umliegenden Hügel und Berge kraxeln sollten, um dieser Sturzflut zu entkommen. Jetzt dämmerte ihnen, dass sie alle Warnungen in den Wind geschlagen hatten. Jetzt, wo dieses Inferno schon seit Tagen anhielt, wären sie gerne umgekehrt, aber der Müllbach riss noch immer mit sich, was ihm den Weg versperrte, und wollte partout nicht mehr Müllbach sein.

«Gefühle» auf dem Geschichtenpfad

Ende September wurden auf dem Geschichtenpfad zum zehnten Mal Kurzgeschichten an verschiedenen Lokalitäten in Elgg vorgetragen. Wie in den vergangenen Jahren veröffentlicht die «Elgger/Aadorfer Zeitung» die fünf Geschichten von vier Autoren und einer Autorin. Bereits erschienen sind: «Der Buchstabendieb» von Jonas Najdzion (8.10.2024), «Freude» von Susie Scherrer (15.10.2024), «Der falsche Joachim» von Rudi Elsenbruch (24.10.2024) und «Hans im Glück 2.0» von Markus Rohner (9.11.2024). Mit Felix Schröters Kurzgeschichte «Der grosse Regen» endet die Serie.

VOM ELGGER GESCHICHTENPFAD ZUM THEMA «GEFÜHLE»

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