Ein Advent mit fliegenden Holzspänen
02.12.2025 ElggMit Motorsägenklang begann in St. Georg der Advent: Hans Schmucki schnitzte live eine Kerze – der Auftakt zu einem «Hölzernen Adventsweg», der vom Strassenrand bis zur Kirche führt und Kunst, Natur und kurdische Mythen miteinander verwebt.
Nach dem ...
Mit Motorsägenklang begann in St. Georg der Advent: Hans Schmucki schnitzte live eine Kerze – der Auftakt zu einem «Hölzernen Adventsweg», der vom Strassenrand bis zur Kirche führt und Kunst, Natur und kurdische Mythen miteinander verwebt.
Nach dem 10-Uhr-Gottesdienst am 1. Dezember wurde es auf dem Kirchenvorplatz der katholischen Pfarrei St. Georg Elgg plötzlich laut. Hans Schmucki – 40 Jahre lang Forstwart in Elgg und seit 2023 pensioniert – hatte bereits Helm und Schnittschutz montiert und liess die Motorsäge an. Vor den rund zwanzig Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern formte er in wenigen Minuten aus einem kleineren Stück Holz eine Adventskerze. Holzspäne wirbelten, der Duft frischen Holzes mischte sich mit der klaren Winterluft – und die Zuschauer staunten nicht schlecht. Währenddessen wärmten heisse Getränke und selbstgebackener Lebkuchen die Hände und Herzen der Gäste.
Doch damit nicht genug. Schmucki wechselte die Säge, stieg über ein Podest aus Paletten zu einem mächtigen, von innen bereits hohlen Baumstamm und begann, die Konturen einer grossen Kerze herauszuarbeiten. Dieses Stück wird die erste Station des neuen Adventswegs bilden. «Während meiner Zeit als Forstwart habe ich mit dem Motorsägen-Schnitzen angefangen», erzählt Schmucki. «Da ich viel im Wald war, habe ich mir überlegt, wie ich künstlerisch mit Holz arbeiten könnte. Die Ideen sind einfach entstanden. Aber es bleibt ein Hobby – ich mache das nicht gewerblich.»
Ein besonderer Stationenweg
Die imposante Holzkonstruktion wird nun ganz vorne an der Strasse platziert, sodass sie schon von weitem sichtbar auf den Advent aufmerksam macht. Von innen heraus beleuchtet soll sie in den Abendstunden wie eine grosse Adventskerze wirken. Von dort führen die weiteren Stationen in Richtung Kirche – ein kleiner, begehbarer Weg, der im Laufe des Dezembers Schritt für Schritt wächst.
Gemeindeleiter Jürgen Kaesler, der die Idee in den Pfarreirat eingebracht hatte, freute sich über den gelungenen Auftakt. «Im Rat hat man sofort gesagt: Frag doch mal den Hans. Und er war gleich dabei – das hat mich sehr beeindruckt», erzählt Kaesler. Hans Schmucki gestaltet die ersten beiden Stationen, die beide mit live erlebbaren Motorsäge-Arbeiten entstehen. Wer die erste am vergangenen Sonntag verpasst hat, bekommt deshalb noch einmal eine Chance auf das Motorsägen-Erlebnis: Die zweite Schnitzaktion findet am 2. Advent statt, nach der frühen Rorate, begleitet von einem gemeinsamen Zmorge.
Inspiration aus der Kunsthalle
Was aber führte überhaupt zu diesem Adventsweg – und warum Holz? Kaesler verweist auf eine künstlerische Quelle. Er besuchte kürzlich die Ausstellung «Born to Bloom» der jungen kurdischen Künstlerin Cemile Sahin in der Kunsthalle St. Gallen. Dort berührte ihn besonders die Darstellung der «Gula Xemgîn», einer seltenen kurdischen Blume, die wegen ihrer nach unten sinkenden Kelchblätter als «traurige Blume» gilt. Ein LED-Banner erzählte: «Sie neigte ihren Kopf immer nach unten, als ob ihre Geschichte im Boden vergraben wäre. Sie erscheint nur drei Wochen im April. Dann verschwindet sie, wie ein Zeuge, der sich weigert auszusagen. In Kurdistan wächst sie in Höhenlagen von 500 bis 3000 Metern. Sie kann nicht in Gärten leben. Sie stirbt in Töpfen. Sie lehnt das Exil ab.»
Kaesler nahm diese poetische, zugleich politische Symbolik mit in seine theologischen Überlegungen: «Die Traurigkeitsblume war für mich das Gegenkonzept des Advent. Dieser steht für das Licht im Dunkeln. Die Traurigkeit wird weniger, die Freiheit wird grösser. Das war für mich eine stimmige Parallelsituation», erklärt er. Der Gedanke, Kunst, Freiheitsbilder und kirchliche Spiritualität zu verbinden, liess ihn nicht mehr los. «Ich wollte nicht einfach Kerzen anzünden, sondern eine Brücke schaffen zwischen Kunst und kirchlichem Leben», sagt Kaesler.
Schwemmholz, Wurzeln und Texte
So entstand die Vision eines Weges, der mit Holz arbeitet – einem Material, das sowohl Geborgenheit wie auch Verletzlichkeit ausdrückt, und das in Elgg allgegenwärtig ist. Ein Weg, der nicht nur Mitglieder der Gemeinde anspricht, sondern alle, die vorbeigehen: Familien, Spaziergänger, Kinder auf dem Spielplatz. «Niederschwellig, draussen», beschreibt Kaesler es. «Man muss nicht in den Gottesdienst. Man kann sich einfach einstimmen».
Die dritte und vierte Station des Weges entstehen im Religionsunterricht: Schü- lerinnen und Schüler gestalten gemeinsam mit Sylvia Brotschi und Kaesler Engel aus Schwemmholz sowie eine Installation aus eindrucksvollen Wurzeln – inspiriert von Bildern aus dem Buch Jesaja. «Das Begreifen mit den Händen ist wichtig», sagt Kaesler. «Die Kinder sollen spüren, was Advent bedeuten kann.» Beide Installationen werden in den Weg eingefügt und so platziert, dass man beim Hinaufgehen zur Kirche von Station zu Station begleitet wird. Meditationstafeln mit kurzen Texten Kaeslers verbinden die vier Werke zu einem geistigen und ästhetischen Ganzen.
So entsteht in Elgg ein Adventsweg, der aus Motorsägenklang, Schwemmholz, Wurzelwerk und poetischen Impulsen zusammengesetzt ist – ein Weg, der nicht nur leuchtet, sondern berührt, verbindet und weiterführt.
SARAH STUTTE




